: Volksbühnen-Chef Neuenfels wird abgesetzt
■ ... und sein „stellvertretender Intendant“ Reich-Ebner wird fristlos entlassen / Selbstbedienung hinter dem Theatervorhang? / „Dienstreisen“ von der „Dienstwohnung“ ins Luxushotel?
Showdown an der Freien Volksbühne: Der stellvertretende Intendant Harry Reich-Ebner soll fristlos gefeuert werden und auch Intendant Hans Neuenfels wird spätestens Ende dieser Spielzeit im Sommer abgesetzt - ein Jahr, bevor sein nicht verlängerter Fünfjahresvertrag enden würde. Ab dann soll Schaubühnen-Chef Schitthelm das Haus bis zum Jahresende kommissarisch übernehmen. Gespielt werden soll so lange die Kirschgarten-Inszenierung der Schaubühne, bis dann das nicht nur finanziell sondern auch baulich marode Theater ab Anfang 1991 bis zum Frühjahr 1992 zwecks Sanierung zum Preis von rund 20 Millionen DM geschlossen bleiben soll. Das jedenfalls schlug gestern die Kulturverwaltung dem Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses vor. Aus für das ohnehin meistens ziemlich leere Haus an der Schaperstraße rechtzeitig zum diesjährigen 100. Geburtstag des traditionsreichen Volksbühnenvereins.
Gestern war ruchbar geworden, daß das weniger wegen seines Finanzgebarens - sprich permanenter Verschuldung - schon seit 1988 immer wieder in die Schlagzeilen geratene Neuenfels-Reich trotz einer Jahressubvention von mittlerweile 13 Millionen DM nicht nur wiederum große finanzielle Defizite in Höhe von fast einer Million DM vor sich her schiebt - anstatt sie, wie zugesagt, abgebaut zu haben. „Ob es sich eventuell um einen noch größeren Betrag handelt, können wir zur Zeit nicht beantworten, weil es für manches keine überprüfbaren Unterlagen gibt“, formulierte Kultur-Staatssekretär Hanns Kirchner gestern vorsichtig hinsichtlich eines offenbar nun auch in West-Berlin grassierenden mysteriösen Aktenverschwindens.
Der Prüfbericht ergab ferner, daß es zu Unregelmäßigkeiten bei Spesenabrechnungen gekommen war. So wollte die Kulturverwaltung „nicht dementieren“, daß Harry Reich-Ebner, dessen Beschäftigung in der extra für ihn an der Freien Volksbühne eingerichteten Funktion eines „stellvertretenden Intendanten“ ohnehin immer wieder für Verwunderung gesorgt hatte, Privatreisen nach Wien mit Aufenthalt in First-class -Hotels über die Volksbühne abrechnete. Hier in Berlin hätte er außerdem seine Privatwohnung auf Volksbühnenkosten reinigen lassen und durch seine vom Theater bezahlte Dienstwohnung finanzielle Vorteile in Anspruch genommen. Angesichts der schlimmen finanziellen Situation wurden außerdem die persönlichen Aufwendungen der künstlerischen Leitung gerügt.
Aus dem Prüfbericht ergeben sich erhebliche Rückforderungsansprüche des Landes. Kultursenatorin Martiny bezeichnete die Vorwürfe gegen Neuenfels ebenfalls als „sehr schwerwiegend“ und ihr Sprecher Ulrich Zawatka erklärte, daß auch bei diesem „Möglichkeiten zur Kündigung bestehen“.
Was die Nachfolge auf dem Volksbühnen-Intendantensessel betrifft, so soll diese bald geklärt werden. Die kulturpolitische Sprecherin der AL-Fraktion, Sabine Weißler, forderte die Kulturverwaltung auf Anfrage jedoch auf, diese nun entstandene Pause zum Nachdenken darüber zu nutzen, welche Art von Bühne wir in Berlin noch zusätzlich bräuchten.
grr
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