Volksfront droht Gorbatschow

■ Gerassimow: Gleichberechtigte Gespräche zwischen aserbaidschanischer KP und Volksfront

Moskau (afp/ap) - Die Lage in Aserbaidschan ist nach wie vor explosiv. Ein Sprecher der aserbaidschanischen Volksfront hat am Donnerstag mit einem „Guerillakrieg“ gedroht, sollten die nach Baku entsandten sowjetischen Truppen nicht schleunigst wieder abgezogen werden. „Wenn Gorbatschow unbedingt ein zweites Afghanistan haben will, so wird er es in Aserbaidschan bekommen“, versicherte er auf einer Pressekonferenz in Moskau. Nachdem gestern der sowjetische Innenminister Wadim Bakatin bei seinen Bemühungen gescheitert war, eine Lösung der festgefahrenen Situation zu erreichen, sollen jetzt nach Aussagen des sowjetischen Regierungssprechers Gerassimow erste Gespräche „zwischen den beiden Mächten“, Volksfront und aserbaidschanischer KP, geführt werden. Außerdem kam Moskau dem Verlangen der Volksfront nach, die Evakuierungen aus Baku einzustellen. Bislang sollen rund 30.000 Menschen, vornehmlich Armenier und Russen, durch das Militär aus der Hauptstadt evakuiert worden sein.

Das gesamte Leben der Stadt wird weiterhin durch einen Generalstreik lahmgelegt, und auch die nächtlichen Überfälle aserbaidschanischer Nationalisten auf Sowjettruppen forderten gestern wieder zwei Todesopfer. Die sowjetische Regierung erklärte ihre Bereitschaft zur Aufhebung der Ausgangssperre und zum Abzug ihrer Truppen nur unter der Bedingung, daß die Miliz der Republik für Ruhe und Ordnung sorge. Zuvor war der Chef des in die Illegalität abgetauchten aserischen „Nationalen Verteidigungsrates“, Machmed Ali Sade, verhaftet worden.

Bakatin, der sich seit Dienstag in Baku aufhält, um die Pattsituation in der Kaukasusrepublik aufzubrechen, erklärte gegenüber 'Tass‘: „Die Frage der Ausgangssperre kann sehr schnell geregelt werden, wenn die Miliz der Republik ihre Aufgabe wahrnimmt und in der Bevölkerung den Respekt vor dem Gesetz wiederherstellt.“ Nach Berichten der Regierungszeitung 'Iswestija‘ bricht in Baku Nacht für Nacht ein Partisanenkrieg mit Schießereien und Anschlägen aserischer Nationalisten auf sowjetische Soldaten aus. Mit massiver Gewalt hatte erst am Vortag die Sowjetmarine eine Blockade des Hafens von Baku durch mehrere zivile Schiffe durchbrochen. Mit Schiffsartillerie und von Land aus wurde das Feuer auf die Blockadeschiffe eröffnet.

In einer Nacht-und-Nebel-Sitzung in der Nacht zu Donnerstag wählte die Führung der Kommunistischen Partei Aserbaidschans den aserischen Ministerpräsidenten Ajas Mutabilow zum neuen Parteichef. Aus Furcht vor Massenaufläufen und Demonstrationen vor dem Parteigebäude trat das Zentralkomitee während der nächtlichen Ausgangssperre zusammen, um einen Nachfolger für den zurückgetretenen Sekretär Wesirow zu wählen.