Tirana verordnet Perestroika

■ Staatschef Alia betont Hegemonieanspruch der KP / Innerparteiliche Demokratie hat Vorrang / Erstmals Liberalisierung der Wirtschaft thematisiert / Bevölkerung in Empörung über Berichte westlicher Medien vereint

Tirana (afp/dpa) - In Albanien gibt es entgegen Gerüchten über Proteste und Revolten keinerlei Anzeichen für eine politische Wende. Zwei Korrespondenten der französischen Nachrichtenagentur 'afp‘ konnten jetzt eine Rundreise durch das sonst Journalisten streng verschlossene Land machen. Sie stellten fest, daß die Regierung von Ramiz Alia und seine Arbeiterpartei Albanien fest im Griff haben.

Nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer westlicher Diplomaten in Tirana kam es im ganzen Land zu keiner größeren Demonstration oder Protestbewegung. Weder in der Hauptstadt noch in der nördlichen Stadt Shkoder, aus der die jugoslawische Presse vor zwei Wochen über Demonstrationen und Ausnahmezustand berichtet hatte, habe es Unruhen gegeben.

„Selbst die Jungen, die sehr zahlreich sind in diesem Land und die weniger stark von der Vergangenheit beeinflußt sind, zeigen kein Verlangen nach Veränderung“, erklärt ein westlicher Diplomat. Die albanische Bevölkerung ist über die Umwälzungen in Osteuropa gut informiert, da insbesondere in den Grenzregionen griechische und italienische Rundfunk- und Fernsehsender problemlos zu empfangen sind.

Staats- und Parteichef Ramiz Alia hat den absoluten Hegemonieanspruch der KP am 22./23. Januar in einer Rede vor dem ZK-Plenum betont. Das Fehlen anderer Parteien sei kein Zeichen für einen Mangel an Demokratie, meinte er.

Alia ging in seiner Rede auch auf die Entwicklungen in den Ländern des Warschauer Pakts ein, „wo die Bevölkerungen verhängnisvollerweise die schweren Verfehlungen der revisionistischen Führungen, die Gewalt, wirtschaftliche Stagnation und technische Rückständigkeit“ als Produkt des sozialistischen Systems und des Marxismus-Leninismus betrachten würden. Durch die „Hypokrise der herrschenden Cliquen“ sei die Legitimität des sozialistischen Staates kompromittiert worden.

Gleichzeitig unterstrich er die Bereitschaft seines Landes zu „aktiverer“ Zusammenarbeit mit dem Ausland. Bei der Darstellung seiner wirtschaftspolitischen Ziele gebrauchte Alia erstmals Ausdrücke wie Angebot und Nachfrage. Er sprach sich für eine Liberalisierung der Preise von Gütern aus, die nicht zum Grundbedarf gehören. Außerdem plädierte er dafür, daß die Unternehmen „tatsächlich die Unabhängigkeit genießen, die ihnen die Gesetze der Wirtschaftspolitik des Sozialismus zubilligen“. Löhne sollten an der Leistung orientiert sein. All diese Fragen würden derzeit untersucht, so Alia. Der albanische Staatschef unterstrich die Notwendigkeit, die albanische KP zu „revolutionieren“. Zudem sprach er sich für eine Denzentralisierung der Macht aus, um „die Kompetenzen der Basis zu erweitern“.

In der albanischen Bevölkerung ist eher eine Bindung an das System zu beobachten. Anstatt sich von den Veränderungen in anderen osteuropäischen Ländern motivieren zu lassen, wehren sich die Albaner gegen die sich häufenden Angriffe gegen ihr Land.