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Ehrung und Erregung

■ Zur Geschichte des Bremer Literaturpreises / Vortrag von Martha Höhl, Jury-Mitglied, im Bürgerhaus Hemelingen

„Ist Bremen eine Literaturstadt?“ Diese Frage stellte Martha Höhl (Mitglied der Literaturpreis-Jury seit '76) an den Anfang ihres Referates „Bremer Literaturpreis - viel bewundert, viel bescholten“. Die illustre Reihe der Literaturpreisträger läßt zumindest den Schluß zu: Bremen ist eine Literatur-Preis-Stadt.

Ilse Aichinger, zweite Preisträgerin 1955 zu ihrer Ehrung: „Ich möchte nur sagen, daß ich mich freue, daß wir jetzt auch zu den Bremer Stadtmusikanten gehören.“ Oder Volker Braun 1986: „Hinze gab seiner Regung nach, sich ehren zu lassen, da er seine Arbeit sozusagen um jeden Preis machen würde.“ Die Preissumme spendete er an den African National Congress. Dabei hat sich die Bremer Jury bei der Auswahl stets graue Haare wachsen lassen. Die Satzung schreibt vor, daß jeweils das neueste Werk eines Autors zu prämieren sei. Hat ein Autor den Höhepunkt seines Schaffens überschritten, gibts keinen Preis mehr. Aus einer Liste der Neuerscheinungen treffen die Jury-Mitglieder eine Vorauswahl. Dann wird gelesen (Höhl: „eine verantwortungsvolle und langwierige Aufgabe“) und entschieden.

Als „hohe Hürde“ bezeichnet Martha Höhl die vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit: „Eine einvernehmliche Entscheidung gibt es erst nach langen Diskussionen. Ich bin froh, daß wir in Klausur tagen, man nähert sich langsam an, hat Spielraum, hört Argumente - niemand muß sich während der Entscheidungsphase nach außen produzieren.“

Als die Entscheidung 1960 auf Günter Grass‘ „Blechtrommel“ fiel, verhinderte das Vetorecht des Senats die Preisvergabe. Vorwurf: „pervers und Pornographie“. Protest brach los. Drei Jury-Mitglieder traten zurück, die Presse appellierte an die liberale Tradition Bremens und forderte den Senat auf, die Verantwortung für den Preis abzugeben. Aus diesem Streit ging die autonome Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung hervor. Ihre erste Entscheidung fiel auf Siegfried Lenz.

1980 schlug Heiner Kipphardt Peter Paul Zahl als Förderpreisträger vor. Sein Buch „Die Glücklichen“, als „Buch der Gewalt“ diffamiert, sei im Gegenteil, so Martha Höhl, „ein zärtliches Buch, voll ironischem Sprachwitz“. Es hagelte Protestbriefe. Die Jury setzte sich durch. Der Inhaftierte wurde von Sicherheitsbeamten zur Preisvergabe gebracht.

Zuletzt ein wenig beachteter Aspekt des Literaturpreises. Matha Höhl: “ Es gibt in der Bundesrepublik nur etwa 60 Autoren, die vom Schreiben alleine leben können. Für manche Preisträger sind die 15.000 oder für den Förderpreis 7.500 Mark eine echte Überlebenshilfe.“

Dies alles und noch viel mehr aus ihrem Jurorinnen -Erfahrungsschatz verriet Matha Höhl im intimen Kreis von sieben Personen, die den Weg ins Bürgerhaus Hemelingen gefunden hatten. Ob mangelndes Interesse, die Konkurrenzveranstaltungen oder der unüberwindbar weite Weg der Grund dafür waren, bleibt das Geheimnis der Ferngebliebenen. Wer mehr über die Geschichte des Preises wissen möchte, hat bis zum 8. Februar die Gelegenheit: In einer Ausstellung am nämlichen Ort werden alle Preisträger in Text und Bild vorgestellt. Beate Ram

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