: NACKTER BISCHOF FEIERT KARNEVAL
■ Ordentliche und „ekelhafte“ Kunst in der Glockenstadt Gescher - eine Provinzposse aus Westfalen
Nein, es gibt keine Idylle mehr: Kaum hat man eine echte Provinzposse entdeckt und hofft, daß sie auch lang anhalten möge wegen ihres unbestreitbaren Unterhaltungswertes, schon kommt mit Sicherheit einer von diesen intellektuellen Grünschnäbeln daher, die mittlerweile in den Redaktionsstuben von Fernseh- und illustriertem Journal sitzen, und meint, er müsse die Öffentlichkeit mitsamt schlauen Kommentaren davon in Kenntnis setzen, am besten noch bundesweit. Und bereitet so mit Sicherheit dieser fröhlichen Episode in einem kleinen Dorf das Ende. Aber ich fange am besten von vorn an.
Gescher in Westfalen ist eigentlich wegen seiner Glockengießerei bekannt; Wohlklang in Bronze geht in alle Welt. Rund 15.000 Menschen wohnen hier mitten auf dem platten Land, umgeben von Rind- und Schweinezucht, von Hormonskandal und Tieffliegern. Gescher ist über eintausend Jahre alt: Als Gründungsdatum gilt (wir sind mitten in Westfalen) die Bildung der Pfarrei. Wie alle anständigen Ortschaften hat Gescher seinen charakteristischen Ortskern kaputtgemacht und dafür eine Fußgängerzone eingerichtet: „...daß nicht SEin Fuß an einen Stein anstoße und verletzt mög‘ sein“, wünscht die katholische Gemeinde - und das sind hier fast alle - sonntags ihrem HErrn singenderweise in der Kirche. Zu diesem Zweck wurden die alten Dorfstraßen eingeebnet; Bordsteine weg, Straßenbelag durch rote Pflastersteine ersetzt: Schon ist alles schön aufgeräumt und ordentlich (letzteres das wichtigste Adjektiv in dieser vom Waschzwang befallenen Region). Was dagegen spräche, die Straßen so zu lassen, wie sie sind, und so wengistens den Rest vom Original zu bewahren? „Unser Dorf soll schöner werden!“ lautet die Antwort, und was schön ist, bestimmt der Gemeinderat. Mit den jeweiligen Mehrheiten, versteht sich, und die sind hier absolut christdemokratisch.
Schön fand der Gemeinderat mehrheitlich, im neugestalteten Dorfkern 92 Stolperklötze mit einer Kantenlänge von 40 Zentimetern aus Holz, Stahl und Sandstein zu verteilen. Man machte sich durchaus Gedanken; in der Lokalzeitung äußerte sich der Kunstschaffende dazu: „Wir müssen auf die Sensibilität der Leute Rücksicht nehmen, nicht, daß sie sich im Sommer vor Hitze nicht setzen können.“ Der Mann denkt an alles, sogar an die Sensibilität. Allerdings, bei dem - völlig verständlichen - Alkoholkonsum im Dorf sind solche Stolpersteine sträflicher Leichtsinn, obwohl sie in ihrer Schönheit dem neuen Rathaus (ein „fabrikähnliches Gebäude“ in der Dorfmitte, so der WDR) durchaus entsprechen.
Jetzt hat der Gemeinderat allerdings für Zwist gesorgt, denn einerseits fanden alle die neue Fußgängerzone wegen ihrer Übersichtlichkeit im großen und ganzen doch ganz gelungen, aber im kulturellen Überschwang hatte man einen italienischen Maler verpflichtet, die Innenwand des neuen Rathauses mit einem Gemälde zu versehen. Gescher feiert recht ausgelassen seinen Karneval, zwei Wochen vor dem üblichen Rosenmontag, richtig mit Umzug und Täterä, und darauf ist man hier stolz. Also sollte der Maler Corrado Dimeoni aus dem Veneto den Karneval, eventeull sogar den Gescheraner Karneval, in ein 36 Quadratmeter großes Bild umsetzen. Dieser faßte sein Thema so auf: Karneval „ist eine kurze Zeit im Jahr, in der fast alles erlaubt ist. Die von Konventionen unterdrückten Triebe und 'Gelüste‘ werden befriedrigt. Man kann ungestraft verrückte Dinge tun, ohne das Gesicht zu verlieren.“ So weit, so korrekt: Wenn das irgendwo stimmt, dann in der Kleinstadt, wo übermäßiges Ordnungs- und Sauberkeitsbedürfnis laut Sigmund F. auf eher ungeordnete Zustände im seelischen Befinden hindeuten.
Für 226.000 DM setzte sich der Maler ans Werk. Natürlich war das teuer, also kam man in Gescher auf die für sich schon karnevalistische Idee: Wer 400 DM spendet, kann sich in dem Bild konterfeien lassen. Anfangs wurde dies wohlwollend aufgenommen, weil das schon fast so etwas war, wie in die Zeitung zu kommen. Aber als man das Bild dann sah, tobte ein Aufschrei, wogte ein Zorn, also, man war doch aufgeregt: Da war ein Bischof zu sehen, mit Mitra, aber ohne Bekleidung untenrum, und eine düstere Maske schob einer anderen etwas Unanständiges in den Arsch. Zwar waren das ziemlich kleine Episoden in der immerhin 36 Quadratmeter großen karnevalistischen Darstellung, und man mußte schon gaaanz genau hingucken. Aber wenn's um Ferkeleien geht, gucken die Leute eben auch genau hin. Der Rest vom Bild (übrigens ein schönes Bild!) wurde gar nicht mehr beachtet. Und das sind die restlichen 35 Quadratmeter.
Die Schlacht wogte hin und her, in Kneipen (die es hier reichlich gibt) und Kirche, in Reitklub und Karnevalsverein. In der Heimatzeitung urteilte ein Herr Neumann, es handele sich hier um eine Art von Kunst, „die die Mehrheit im Volke als abstoßend und ekelhaft ansieht“. Nun, Volk steh auf und Sturm brich los! Ein anderer Urbürger befand hingegen, daß der Gescheraner Karneval nachts um zwei solche Züge durchaus aufweise, worauf ein im Karnevalsverein Aktiver von sich selbst meinte, er sei wohl immer zu früh nach Hause gegangen.
Im Dezember kam nun der WDR nach Gescher und recherchierte für das Regionalprogramm. Ein Stadtverordneter der regierenden CDU sprach bei dieser Gelegenheit ins Mikrofon, daß diese „obszinösen Dinge“ wieder übermalt werden müßten. „Obszinöse Dinge?“ - „Ja, diese anstößigen Sachen.“ Das Herz will einem schier überquellen vor Freude. Alles ist aufs beste bestellt in der besten der möglichen Welten: Mein ist die Kasse, sprach der Herr, wenn ich Kunst bezahle, will ich auch ein anständiges Bild.
Ginge es doch nur so weiter! Aber ach! Das Ende dieser wunderbaren Geschichte deutet sich an. Es tauchten auf: neben dem Fernsehen, drittes Programm, der Länderspiegel, zweites Programm, in dem eine ältere Dame im ortsüblichen Idiom klagte: “...und dann dat viele Cheld!„; die 'Bild'-Zeitung („Penis oder Gummischlauch?“); der 'Stern‘, und wer weiß, was noch alles folgt. Jedenfalls ist dadurch, daß gleich immer alles an die große Glocke (!) gehängt wird, das clochemerlehaftige dieser Posse schon so gut wie besiegelt. Und deshalb steht es jetzt hier. Übrigens ist in Gescher am 11./12. Februar Karneval.
Cletus Ossing
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