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EG-Kommission sucht neue Bündnispartner

■ EG-Richtlinien für Gentechnologie weichen erheblich von denen der einzelnen Länder ab / NGOs sollen für Durchsetzung der schärferen Richtlinien sorgen / Der Handlungsspielraum für Alternativen ist jedoch gering / Dennoch lassen sich Organisationen ein

Aus Brüssel Michael Bullard

Ausnahmsweise räkelten sich auf den bequemen Sesseln des Borschette-Konferenzpalasts in Brüssel am Donnerstag und Freitag keine Industrie- und Regierungslobbyisten. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hatte die EG-Kommission stattdessen Vertreter von Umwelt- und Konsumentengruppen aus 16 Ländern Westeuropas und der DDR eingeladen. Offizieller Anlaß für das historische Ereignis: Die regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) sollten von den Vorhaben der Kommission im Bereich Gentechnologie unterrichtet werden. Die Kommission stellte vor allem Vorschriften für die Patentierung, medizinische Anwendung und Vermarktung gentechnischer Produkte vor. Die Organsiatorin des Seminars, Joanna Tachmintzis aus der Umweltabteilung der Kommission, stellte jedoch mehrfach klar, was der eigentliche Grund für die Veranstaltung war. Die Kommission braucht die NGOs, um die von ihr aufgestellten Richtlinien in den einzelnen Mitgliedsländern durchzusetzen.

Im Mittelpunkt der Diskussion standen deshalb vor allem die beiden Richtlinien über die Freisetzung genetisch veränderter Lebewesen und deren Benutzung in Labors. Tachmintzis geht davon aus, daß beide Richtlinien in den jetzt vorliegenden Fassungen vom Ministerrat der EG spätestens am 22. März verabschiedet werden. Danach müssen sie innerhalb einer Frist von 18 Monaten von den EG -Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Gerade bei der Umsetzung von Umweltrichtlinien lassen sich die EG-Regierungen jedoch Zeit. Bei den Gen-Richtlinien befürchtet die Kommission noch größere Schwierigkeiten, weil ein Teil der Mitgliedsstaaten vor allem im Süden der EG noch gar keine gesetzlichen und institutionellen Regelungen für den Umgang mit der neuen Technologie haben. Tachmintzis weiß, daß den NGOs nichts anders übrig bleibt, als die ihr von der Kommission zugedachte Aufgabe zu übernehmen. „Die Exekutive hat die Kritiker zu einem Zeitpunkt eingeladen, wo die formulierte Kritik nicht mehr in die Richtlinien eingebaut werden kann“, kritisierte dann auch der Gen-Tech -Experte des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Joachim Spangenberg. Die meisten der angereisten NGO -Vertreter schienen sich aber mit der Situation abzufinden. Schließlich sind die Kommissions-Richtlinien besser als gar keine.

Das gilt auch für das von der Bundesregierung geplante Gen -Gesetz. Da es in fünfzig Punkten von den EG-Richtlinien abweicht, hatte die Kommission bereits eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angedroht. Deshalb gab die FDP/CDU -Bundestagsfraktion am Dientag bekannt, daß ein quasi neues Gesetz bereits vorbereitet sei und demnächst veröffentlicht werde. Ein Streit zwischen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktion über das Gen-Gesetz hatte offenichtlich dazu geführt, daß die Fraktion weiter an ihrem Gesetzesvorschlag arbeitete, während in der Öffentlichkeit das Gen-Gesetz der Bundesregierung debattiert wurde. Zu einem Zeitpunkt, als sich rund 100 Expert Innen auf dem Bonner Hearing en detail mit dem Gesetz der Bundesregierung auseinandersetzten, liefen die Koalitionsvertreter bereits mit dem neuen Entwurf in der Tasche herum, der sich sehr weitgehend von dem Regierungsvorschlag unterscheiden soll. Als „Volksverarschung“ bezeichnete eine Konferenzteilnehmerin dieses Vorgehen. Bleibt abzuwarten, welche Verarschungen der neue Gesetzentwurf beinhaltet.

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