Ein Erzieher für 40 Kids - ganz normal

KiTa-Streik in Berlin geht in die dritte Woche  ■  Aus Berlin Hans-Hermann Kotte

In U-Bahnen, Betrieben und Behörden West-Berlins ist seit 14 Tagen mit erheblich mehr Gequengel, Gebrabbel und Windelgeruch zu rechnen als sonst. Denn die städtischen KiTas der Stadt, in denen etwa 46.000 Kids betreut werden, befinden sich im Vollstreik. Gestern wurde beschlossen, daß dieser bisher längste Streik von ErzieherInnen in die dritte Woche geht.

Die rund 5.000 in den Gewerkschaften ÖTV und GEW organisierten ErzieherInnen sind im Ausstand, um einen Zusatztarifvertrag durchzusetzen, der mehr Mitbestimmung über Personalschlüssel, KiTa-Gruppengrößen und Fort- und Weiterbildung bringen soll.

Momentan liegt der Personalschlüssel für Kindergartengruppen und -horte bei eineinhalb bzw. einer Stelle für etwa 20 Kinder. Wenn ErzieherInnen durch Krankheit ausfallen, werden Gruppen im Regelfall zusammengelegt, dann sind 40 oder sogar bis zu 60 Kinder von einer Person zu betreuen. Die ErzieherInnen fordern deshalb zwei Stellen pro Gruppe. Sie berufen sich auch auf bestimmte „Berliner Besonderheiten“, welche die Arbeit in den KiTas erschweren. So liege Berlin bei der Zahl alleinerziehender Eltern ganz oben, müßten ausländische und behinderte Kinder integriert werden. Hinzu komme, daß die KiTas durchgehend elfeinhalb Stunden geöffnet seien.

ÖTV und GEW erweisen sich in der Auseinandersetzung als ebenso hartnäckig wie der öffentliche Arbeitgeber Senat. Während die Gewerkschaften beklagen, daß sich der KiTa -Bereich seit „20 Jahren nichts Entscheidendes verbessert hat“ und deshalb auf einer tarifvertraglichen Festschreibung der Personalbemessung bestehen, steht der rot-grüne Senat auf dem Standpunkt, daß ein solcher Tarifvertrag gar nicht möglich sei. Der federführende Innensenator Erich Pätzold (SPD) verschanzt sich weiter hinter dem Argument, daß die bundesweite Arbeitgeberorganisation „Tarifgemeinschaft Deutscher Länder“ (TdL) einen Tarifvertrag zur Personalbemessung ablehnt. Hinter dieser Ablehnung steht die Befürchtung der TdL, daß ein solcher Tarifvertrag Pilotfunktion für andere öffentliche Bereiche, etwa bei Sozial- und Finanzämtern, haben könnte.

Seit Ausbruch des Konflikts Ende Oktober hat sich nicht viel bewegt, obwohl die Gewerkschaften beim finanziellen Volumen eines Zusatztarifvertrages Kompromißbereitschaft signalisieren. Sie verweisen auch auf die Möglichkeit, einen Tarifvertrag auf Berliner Ebene abzuschließen, der die Zuständigkeit der TdL nicht berührt. Für solche Verträge gebe es Beispiele in anderen Bundesländern, auch der Senat habe bei Bildschirm-ArbeiterInnen und Uni-TutorInnen schon entsprechendes abgeschlossen.

Intern ist die Regierungskoalition zerstritten: Die AL liegt auf Gewerkschaftslinie, die SPD forderte zunächst einen „Stufenplan“ und will auf ein noch zu schaffendes KiTa -Gesetz warten. Erst nach langwierigen Kompromißverhandlungen zwischen der AL-Jugendsenatorin Anne Klein und den SPD-Senatoren für Inneres und Finanzen beschloß der Senat Mitte Januar Verbesserungen der KiTa -Personalschlüssel mit einem Volumen von 20 Millionen Mark. Diese Verbesserungen werden von den ErzieherInnen allerdings als „billiger Trick“ abgelehnt: Sie träten erst 1991 und damit zu spät in Kraft, außerdem werde ein Drittel der rund 250 neuen Stellen durch Arbeitszeitverkürzungen wieder neutralisiert.

Bislang findet der Streik die breite Solidarität unter den Eltern - und das, obwohl es nur wenige Möglichkeiten gibt, Kinder in Härtefällen unterzubringen. Denn der Innensenator torpedierte erfolgreich Notdienstvereinbarungen. In der nächsten Woche könnte die Situation für die Gewerkschaften jedoch heikel werden. Viele Eltern bekommen von den Arbeitgebern keinen Urlaub zur Kinderbetreuung und sind, wenn sie wegen der Kids zu Hause bleiben, von Lohnabzügen bedroht. Außerdem sehen viele Eltern nicht ein, warum sie während des Streiks KiTa-Gebühren an den verhandlungsunwilligen Senat bezahlen sollen. Deshalb haben verschiedene Elternorganisationen jetzt Sperrkonten für die Beiträge eingerichtet.

Hans-Hermann Kotte