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Wohl kaum „verwerflich“

■ WAA-Prozesse: Amberger Richter praktiziert Ausstieg aus Nötigungsschuldsprüchen / Vier Blockierer freigesprochen

München (taz) - Die Verurteilungsfront bei WAA-Prozessen beginnt zu bröckeln. Innerhalb von nur zwei Wochen wurden vom Landgericht Amberg vier WAA-Gegner freigesprochen. Der Vorsitzende Richter Manfred Kreuzer vertrat erneut die Ansicht, daß das WAA-Verfahren bereits im Vorfeld hätte eingestellt werden sollen. Grund: Nach dem Aus für die „Oberpfälzer Atommüllfabrik“ sah Kreuzer „kein öffentliches Interesse mehr an einer Strafverfolgung“. Bei der Urteilsverkündung ließ der Richter durchblicken, daß „WAA -Verfahren doch etwas anders gelaufen“ seien und selbst Staatsanwälte im Zusammenhang von WAA-Strafverfahren nicht immer das machen konnten, was sie eigentlich wollten.

Die drei freigesprochenen WAA-Gegner hatten im Oktober 1987 bei den „Herbst-Aktionstagen“ an einer angemeldeten Traktorendemonstration teilgenommen. Als der Zug stoppte, setzten sie sich zusammen mit anderen Demonstranten auf die Straße vor einige bereits stehende LKWs. Sie wollten damit ihren Protest noch unterstreichen, erklärten sie vor Gericht. Rund eine halbe Stunde wurden deshalb die LKW -Fahrer daran gehindert weiterzufahren. Eine Einheit der hessischen Bereitschaftspolizei wurde gegen die Protestierer eingesetzt.

Für die Staatanwaltschaft gab es keinen Zweifel. Sie sah in dem Verhalten der Demonstranten eine Sitzblockade, die Dritte gewaltsam nötigen sollte, um sie zu einem anderen Verhalten zu zwingen. Die Verurteilungspraxis des Amtsgerichts Schwandorf - WAA-Gegner werden dort immer noch verurteilt - bezeichnete die Staatanwaltschaft als durchaus „übliche Rechtsprechung“. Richter Kreuzer dagegen widersprach dem Vorwurf der Nötigung, denn es sei weder zu Gewaltanwendung im landläufigen Sinn gekommen, noch könne er die zur Verurteilung notwendige „Verwerflichkeit“ ihres Tuns feststellen. Daß die WAA-Gegner auf die Gefahren der WAA öffentlichkeitswirksam hinweisen wollten, sei wohl kaum verwerflich, begründete der Richter sein Urteil.

Luitgard Koch

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