Der Fakt und dennoch erstaunlich

■ Literarische Woche: Eine Doris Gercke und keine Pieke Biermann in der Büchergilde Gutenberg

Es wär ein nettes Duo criminale geworden, die lockere, berlineske Intelligenz Pieke Biermann, schnoddriger Lichtblick im letztjährigen Literaturgespräch, (mir besonders unvergeßlich wg. ihrer metropolitanen braunen Knöpfstiefeletten, nach deren schwarzem Pendant ich wochenlang die oberzentral-hanseatischen Schaufenster abgesucht habe, natürlich vergeblich), ja und die kri

mischreibende DKP-Kommis sarin aus Hamburg, Doris Gercke.

Doch ach, letztere saß allein in der Büchergilde Gutenberg, Pieke Biermann habe kurzfristig abgesagt, beschied die freundliche, aber namenlose Frau von der Büchergilde, Gründe nannte sie und kannte sie keine.

50 ZuhörerInnen, 42 davon weiblich, angelockt mit falschem Etikett, und dann nur die DKP da, da interessiert der Grund denn doch. „Ich habe garnicht abgesagt,“ spricht Pieke Biermann vom Olivaer Platz in Berlin. Sie habe ihre Zusage von der Organisation einer weiteren Lesung abhängig gemacht, damit es sich für

sie lohne. Das war etwa im November des alten Jahrzehnts. Dann nie wieder was gehört. Dann drei Wochen vor der Lesung gefragt, was ist und in der betreuenden Heinrich-Vogeler -Buchhandlung jemand angetroffen, die nur zum Versprechen des Rückrufs kompetent war. Darauf wieder zwei Wochen nichts gehört und sich woanders verdungen. Das auch einer Frau Fink von der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung mitgeteilt, die danach anrief. Daß die Biermann nicht kam, liegt also am störenden Erwachen des DDR-Volkes, das der organisierenden Heinrich-Vogeler Akzente-Buchhandlung den Geld-Tropf und die Organisa

tionskraft abschnitt.

Nun also Doris Gercke. Klar, korrekt, amazonenäugige Bündelung einer bis zum TZ dirigistischen Lebensenergie, liest aus ihrem dritten Kriminalroman Moskau, meine Liebe. Leider kann sie noch nicht aus dem vierten lesen, denn den beginnt sie erst am 1. Februar. In Moskau war sie 1985/86, noch nicht zum Schreiben, sondern „wie DKP -Funktionäre eben eine Schulung machen“. „Machten“ korrigiert sie sich. Schreiben tut sie seit 1987. Jeden Morgen von 8 bis 12. Weil die Werktätigen auch feste Arbeitszeiten haben.

Alle ihre Krimis gehen über Gewalt gegen Frauen. „Ich glaube, ich würde ununterbrochen Bücher über Gewalt gegen Frauen schreiben, wenn sie jemand lesen würde.“ Krimis schreibt sie nur, „um an ein größeres Publikum zu kommen“. Ihr Stil soll so sein, wie Puschkin verlangte, gekennzeichnet durch

„Genauigkeit und Kürze“. Ihr Thema ist das Normale, in dem sie das Ungewöhnliche wiederzufinden hofft. Sie schreibt nur über das, „was wirklich ist.“ Wenn das Wirkliche so ist, daß sich eine malträtierte Frau umbringt, ändert sie es so, daß die Frau sich nicht umbringt, sondern rächt. Denn sie versucht „schon so etwas wie „Moral, - ein schreckliches Wort - unterzubringen.“ Psychologisierender Stil liegt ihr nicht, sie lehnt ihn auch ab, denn „er hält die einfachen Leute ab, für die ich schreiben will.“

Fragen sind dafür da, daß man sie beantwortet.

Daß „Moskau, meine Liebe“ von Prostituiertenmorden und Neubauviertelmafia strotzt, liege am Genre des Krimi. Daß er kurzweiliger sich anhört als die Dogmen seiner Verfasserin und daß selbst die aus ihrem Munde frisch klingen, ist der Fakt, wie Honey gesagt hätte, und ein echtes Wunder. Uta Stoll