: Der Körper als aufgeklärter Absolutist
Ein Besuch in Europas größtem Fitneß-Center / Wo Knochen und Muskeln „Du“ zueinander sagen ■ Von Manfred Dworschak
Hamburg (taz) - Die landläufige Vorstellung von der Maschine „Fitneß-Center“ ist bestimmt vom Anblick der Karikaturen, die sich in ihr erzeugen: hilflose Monstren, die ihren Muskelapparat zur kriegerischen Formation zurichten; verzweifelte neue Barbaren, die aus ihrem Körper eine Botschaft schmieden: ein schwerfälliges semiotisches System der Unverletzlichkeit. Der Witz ist, daß alle verfügbare Energien für die bloße Darstellung der Kampfbereitschaft draufgeht. Da lachen wir natürlich - und konstatieren die allgemeine Krise der Hochrüstung.
Daß das zahlende Publikum dafür nicht mehr so recht zu begeistern ist, begreift auch die Body-Szene. Zwar gibt es noch die miefigen Hallen, gerade gut genug, den Körper vermittels planmäßigen Martyriums zum Geständnis seiner Existenz zu zwingen - daneben aber entsteht derzeit das Fitneß-Center neuen Typs. In ihm waltet Maß und feudale Großzügigkeit zugleich.
Ein ausgeklügeltes Musterexemplar - nicht zufällig gleich das größte seiner Art in Europa - ist dieser Tage im Hamburger Stadtteil Wandsbek eröffnet worden: Barthold Richters‘ „Fitneß-Land“. Auf 7.000 Quadratmetern Fläche, über vier Etagen einer ehemaligen Fabrik verteilt, ist ein Angebot von „Sports & Recreation“ ausgebreitet, zu dem die Spezies des gemeinen Jahrmarktsherkules von vornherein keinen Zutritt haben.
Kein Wunder: Die Gerätehallen sehen aus wie die feierliche Inszenierung eines Großraumbüros, in dem vernünftige Arbeit getan wird. Folgerichtig sind die Trainingsmaschinen, zum Teil von Richters selbst entwickelt, ergonomisch durchdacht, um Gelenkverschleiß und sonst versehentliche Belastungen weitgehend zu vermeiden. Zudem erwirbt sich jedes Klubmitglied mit knapp hundert Mark Monatsbeitrag auch das Recht auf individuelle Betreuung durch qualifiziertes Personal.
Das ändert nichts am Inhalt dieses Sports: Auch hier zwingt man isolierte Körperpartien zu entfremdeter, stupider Simulation von Arbeit. Aber man ist angehalten, die Muskeln nicht wie Rekruten zu schleifen. Hier übt man ein fürsorgliches Kommando über ein Team von Mitarbeitern.
Den Kollegen Triceps etwa, wenn er dem Soll hinterhertrödelt, ruft man zum Einzelappell an die Tricepsmaschine. Nachher kommen vielleicht die Quadricipes femores dran, auf daß sie die Knie wieder ordentlich strecken. Und dann die Adduktoren, die Oberschenkelanzieher, ganz schlaffe Schlawiner zumeist: Auf einer Art Gynäkologenstuhl kriegen sie ihre Lektion in korporativer Leistungsbereitschaft. Aber immer mit Milde.
Der Körper wird hier sozusagen zum Modell eines aufgeklärten Absolutismus. Zu sowas wie einem kleinen Duodezfürstentum, in welchem ein abgetrenntes Bewußtsein die muskulären Untertanen zu deren Besten regiert. So kann man sich eine Heimat vorstellen, sogar eine schöne.
Der Gedanke, kaum gefaßt, kommt einem sonderbar vor beim Anblick der etwas verdrossenen An-sich-Arbeiter, wie sie da, bunt trikotiert, ohne große Lust, ihre Maschinen bedienen. Dazu die Geräusche: Zu sanfter Musik das Rollen der Laufräder, das Schleifen der Bänder, der Ketten, der Gewichte in ihren Halterungen. Und überall beherrschtes Keuchen.
Nicht ganz von ungefähr erinnern die Bewegungen immer an eine kopulative Mechanik. Es geht ja um die mühselige Herstellung von Einklang, um die Reproduktion einer verlorenen Heimat im eigenen Körper. Die Heimat im Körper, das ist die Vorstellung einer geschlossenen, wohlregulierten Welt, wo jeder seinen erkenntlichen Beitrag leistet, wo Knochen und Muskeln „Du“ zueinander sagen, und wo man nichts „Fremdes“ braucht, schon gar keine Medikamente. Der heimatliche Körper ist abgedichtet gegen die Angriffe des Lebens selber.
Die Illusion hat was Tragisches: Gerade der Wunsch nach heimatlicher Sicherheit im Körper unterwirft ihn endgültig der Entfremdung, macht ihm zum technologischen System, zum Produzenten der einen Botschaft: Alles in Ordnung. Das hat nie Sinn und ist immer falsch, aber jede Heimat sagt das, aus demselben Grund, aus dem es der heimatliche Körper erst recht tut: Auch er braucht den Käufer seiner Arbeitskraft und den erotischen Fremdenverkehr sowieso.
Er ist ein ganz armer Hund, aber das Fitneß-Center neuen Typs versöhnt ihn aufs Wohltuendste mit seinem Los. Es stimmt ihm zu. Im „Fitneß-Land“ sind schon die Geräteräume durchinselt von alten, kostbaren Pflanzen, an den Wänden hängt ausgesuchte Kunst. Es herrscht die Farbe weiß und eine ausgewogene, muskulär gerundete Architektur, worin sich die Körper - idealisiert zwar, aber immerhin - gehuldigt finden. Säulen sieht man, dorisch anmutend. Stramm stehen sie, quasi durchtrainiert.
Und Treppen wendeln in jugendlichem Schwung. In Nischen steht Korbmobiliar, dort trinkt man frischgepreßten Saft oder geht doch noch einmal, vorbei an erlesen gekachelten Duschgrotten, zu den Whirl-Pools und läßt sich von zuschaltbaren Düsen den Rücken massieren. Wo man so holden Lohn genießt, da ist gut einverstanden sein. Da lauscht man besänftigt dem Wasser, wie es sprudelt und gurgelt, und badet die Augen in mildem Licht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen