: Flugzeug und Fußball, Hammer und Sichel
Die frühen und mittleren Jahre des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der gestern neunzig wurde ■ PRESS-SCHLAG
Ohne die Führungsriege der deutschen Leichtathletik, die eigenmächtig den „1. Allgemeinen deutschen Fußballtag“ für den 27./28.Januar 1900 nach Leipzig einberief, wäre der Deutsche Fußball-Bund gestern nicht neunzig Jahre alt geworden. Zu zerstritten und ideologisch borniert präsentierte sich der schwarz-rot-weiße Fußball vor der Jahrhundertwende. In der Kickerhauptstadt Berlin, wo zugereiste Engländer vor allem Gymnasiasten mit dem Ballfieber infizierten, prallten die Philosophien kraß aufeinander: Im 1883 gegründeten „Berliner Cricket-Club“ wurde nur Fußball gespielt, während der „Berliner Fußball -Club Frankfurt“ zumeist dem Rugby frönte, dem Fußball „mit Aufheben des Balles“.
Beide Stilrichtungen gründeten ihre eigenen Dachverbände. Die deutsch-national gesonnenen Berliner Vereine wie Germania, Borussia oder Concordia schlossen sich am 4.November 1890 zum „Bund Deutscher Fußballspieler“ zusammen. Dieser Trutzbund hielt jedoch nicht lange. Bereits im Februar 1892 löste man sich wieder auf bezeichnenderweise in einer Berliner Kneipe namens „Eisernes Kreuz“. Ein halbes Jahr nach der Konkurrenz trat der an der englischen Art des soccer orientierte „Deutsche Fußball und Cricket-Bund“ ans Licht der allerdings noch uninteressierten Öffentlichkeit. Die vielerorts als „Fußlümmelei“ eingestufte Tretkunst lockte nur wenige hinter dem Ofen hervor.
Berlin oder nicht Berlin? An dieser Frage scheiterte schließlich der Fusionsversuch zwischen dem „Deutschen Fußball- und Cricket-Bund“ und der 1893 installierten „Süddeutschen Fußball-Union“. Die Süddeutschen lehnten die Reichshauptstadt als dauerhaften Verbandssitz ab. Die „Engländer“ von der Spree erholten sich nie von diesem groben Foul und lösten sich bald danach auf.
Sicherlich wäre auch die fremdbestimmte Tagung von Leipzig im Sande verlaufen, hätten nicht einige Delegierte putschartig den Antrag auf Gründung eines Dachverbandes ins Spiel gebracht. Die Mehrheit der 86 anwesenden Vereine stimmte dafür - der DFB war geboren. Die eigentliche Macht blieb allerdings bei den Regionalverbänden. So kam es erst 1903 zur Austragung einer Deutschen Meisterschaft, die der VFB Leipzig für sich entschied. Weitere fünf Jahre dauerte es, bis man in Basel gegen die Schweiz zum ersten Länderspiel (3:5) antrat. Nach dem ersten Weltkrieg zogen die Funktionäre dann die Konsequenzen aus den Strukturdefiziten. Der Verbandstag von Eisenach (1919) stand im Zeichen einer Zentralisierung. Die DFB-Landesfürsten mußten nach und nach ihre Hausmacht an die neue DFB-Zentrale in Berlin abgeben.
Der Fußball, das vormals „undeutsche“ Spiel, erlebte einen ungeahnten Aufschwung. Ab 1920 durfte auch in den Schulen offiziell gebolzt werden. Selbst Reichspräsident Paul von Hindenburg gratulierte dem DFB zum 25jährigen Jubiläum. Schon sah der Lyriker Joseph Roth in Der Stumme Prophet (1929) eine Zeit herannahen, „deren Zeichen Flugzeug und Fußball waren und nicht Hammer und Sichel“.
Doch die Vision der klassenlosen Fußballgesellschaft täuschte. Bald hielt das Geld seinen Einzug. Schon als Ernst Kuzorra und Fritz Szepan nur einen ersten Vorgeschmack des späteren „Schalker Kreisels“ lieferten, füllten sich die Stadionkassen. Bereits der DFB-Verbandstag in Dresden 1930 befaßte sich mit dem Berufsfußball, denn kurz zuvor war Schalke04 wegen unerlaubter Geldzahlungen für fast drei Jahre aus dem Verkehr gezogen worden. Der Dachverband schien am aufkommenden Professionalismus zu zerbrechen, der vor allem von den finanzstarken Westclubs wie Schalke oder Fortuna Düsseldorf gefordert wurde.
Die Machtergreifung der Nazis änderte das Bild vollkommen. Der DFB hörte formell auf zu existieren, er wurde als „Fachamt Fußball“ in den „Reichsbund für Leibesübungen“ eingegliedert. Dort brachte der ehemalige DFB-Chef Felix Linnemann seinen Laden auf den rechten Kurs. Obwohl die Nazis die Reichsfußballer zu sportlichen Diplomaten ihrer Macht umfunktionieren wollten, blieb der große Erfolg aus. Zwischen 1933 und 1945 bestritten die Fachamtkicker sage und schreibe 105 Länderspiele. Mehr als der dritte Platz bei der Weltmeisterschaft in Italien 1934 sprang aber nicht heraus. Sogar bei den für Nazideutschland so bedeutsamen Olympischen Spielen von 1936 unterlag Linnemanns Auswahl gegen Nobody Norwegen in der Vorrunde mit 0:2.
Personell nahezu unverändert fand der DFB nach 1945 raschen Anschluß an die internationale Fußballfamilie und avancierte 1971 zum größten Sportverband der Welt. Flugzeuge und Fußball hatten sich endgültig durchgesetzt, der stumme Prophet hat recht behalten.
Jürgen Schulz
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