: Lendls Bauchfleisch triumphiert
Australian Open: Finalgegner Edberg muß verletzungsbedingt aufgeben und macht Lendl zum Zweieinhalbsatzsieger (4:6, 7:6, 5:2) / Graf blieb gesund und gewann mit dem 6:3, 6:4 gegen Fernandez ■ Aus Melbourne Bernd Müllender
Die Enttäuschung war groß. Viele der Zuschauer pfiffen den bedauernswerten Stefan Edberg aus. Gerade mal zwei Stunden hatte das Endspiel der Australian Open bei den Männern gedauert, dann hatte Ivan Lendl 4:6, 7:6, 5:2 gewonnen. Er hatte zwar die härteren Gesichtszüge als sein Opponent Edberg, aber das geschmeidigere Muskelgewebe. Edbergs Athletenkörper hatte sich an einer wichtigen Stelle als brüchig erwiesen, eine Bauchmuskelfaser war durchgeknallt: Der Schwede, schon vor einem Jahr verletzungsbedingt - im Viertelfinale - ausgeschieden, gab auf.
Mindestens ebenso enttäuscht schaute der Sieger aus dem Tennishemd, Ivan Lendl war sauer und stinkig. Jetzt wird geschrieben werden, mutmaßte der Tennisarbeiter, er habe es nicht aus eigener Kraft geschafft, vielleicht hätte er verloren und so weiter. Gleichwohl, der Triumph nach halber Spielzeit wird als ein halber in die Geschichte eingehen. Obwohl Titelverteidiger Lendl sich hinterher Mut zu machen versuchte: In fünf oder zehn Jahren werde über das Wie keiner mehr reden. Er selbst jedenfalls redete schon eine viertel Stunde danach nur noch von der näheren Zukunft: daß jetzt schon seine Vorbereitung auf Wimbledon beginne mit intensivem Rasentraining, auf jenes Turnier also, das er glücklich wäre nur einmal, und sei es durch Verletzung des Gegners, zu gewinnen.
Die Australian Open 1990 werden als Versehrtenspiele in der Erinnerung bleiben. Schon vor dem unrühmlichen Schlußakkord am Sonntag waren reihenweise Größen des Filzballspieles an ihren übertrainierten Leibern gescheitert, vorzugsweise durch umgeknickte Fußpartien: Sabatini, Woodforde, Krickstein, Paloheimo, Lavalle, Tanvier und Youl. John McEnroes peinliche Disqualifikation wegen überaktiver Mundmuskulatur war hinzugekommen.
Große Aufregung dann um ein Fitzelchen Bauchmuskelfleisch ausgerechnet im Finale (der Turnierarzt gab ein langes Interview über die anatomischen Zusammenhänge im allgemeinen und zu Edbergs Zerrungsverlauf und Heilungsaussichten im besonderen), aber war sonst noch was? Zwei Wochen lang hatten sich jeweils 128 Damen und Herren vermittels einer Stoffgummikugel geprügelt, bis schließlich jeweils die an die Nummer eins gesetzten den auch in der südlichen Hemisphäre potthäßlichen Siegerpott in den Händen hielten.
Es war immerhin auch das Turnier der versagenden Analytiker. Boris Becker war nach dem Drama mit Mecir der große Favorit - bis ihm von Mats Wilander kräftig eine übergebraten wurde. Aha, jubelten die Medien, Mats ist wieder da, Tennis macht ihm wieder Spaß nach dem lustlosen 1989; am Tag danach hatte ihn Stefan Edberg in 82 Minuten abgefertigt. Der sei ja schier unschlagbar, waren sich fortan alle aus dem Tennis Think Tank sicher - bis der stille Nordländer in der Mitte riß.
Aber wer weiß, ob er als Gesunder einem wie immer perfekt motiviert wirkenden Lendl gewachsen gewesen wäre? Den Ivan hatte mal wieder keiner so recht auf seiner Rechung, zu unspektakulär hatte er Spiel um Spiel gewonnen, Satz um Satz sachbearbeiterisch abgehakt: Und das Endspiel war ausgegleichen, solange Edbergs Verletzung ihn noch nicht allzu sehr behinderte. Daß ein Erfolg gleichzeitig der Auftakt zur Niederlage war, bestätigte Edberg nachher aufs Passendste: Erste Andeutungen einer Zerrung hätte er ausgerechnet im letzten Aufschlagspiel gegen Mats Wilander gespürt.
Eindeutiger schien das Turnier beim berockten Geschlecht. Steffi Graf hat zum dritten Mal in Folge gewonnen, diesmal 6:4, 6:3 gegen die 18jährige Mary Joe Fernandez aus den USA. Aber so souverän wie in den vergangenen Jahren war ihre Vorstellung diesmal bei weitem nicht, wie die Statistiker flugs ermitteln: Sie gab im Halbfinale gegen Helena Sukova erstmalig in Australien einen Satz ab, hätte gegen die teilweise sensationell spielende Tschechin gut auch verliernen können; sie hat zum ersten Mal seit 1987 ein Turnier ohne einen einzigen Satz zu Null gespielt und hatte auch im zweiten Satz des Finales Schwierigkeiten mit ihrer Gegnerin.
Die führte 4:1, und war dann nicht mehr Frau ihrer eigenen Nerven: Das Gefühl allein einen Satz auch gegen eine schwächere Steffi Graf gewinnen zu können, lähmt offenbar den gesamten weiblichen Tenniszirkus. Dann machen sie Fehler auf Fehler, und die in Melbourne 1990 sehr abwartend und defensiv spielende Steffi Graf braucht immer nur zu warten. Auch das reicht für einen Turniersieg, der gleichzeitig, wieder ein neuer Titel, der erste Grand-Slam-Hattrick war.
Graf schlechter oder die anderen besser? - darüber stritten sich die Tennisgelehrten. Ihre Gegnerinnen machten sich alle Mut: Durch der Deutschen haushohe Überlegenheit der vergangenen beiden Jahre seien sie zu erhöhtem Einsatz motiviert worden, der die große Leistungslücke zu ihr allmählich schließe. Steffi Graf selbst, sichtlich unzufrieden mit den für ihre Verhältnisse sehr mäßigen zwei Wochen (auch eine Ungesetzte hatte einmal Breakball gegen die Tennisqueen, unfaßbar!), lobte immer brav ihr Gegnerinnen, und meinte bescheiden über ihr eigenes Leistungsvermögen: „Ich hab noch viel zu lernen.“ Zum Beispiel einen Rückhandtopspinball, den sie, zumindest im Finale, sich überhaupt nicht mehr zu schlagen traute. Daß es auch so reicht zu gewinnen, sagt alles über ihre langweilige Dominanz.
„Das Ding hier ist abgehakt“, sagte die Weltliche aus Brühl kühl, nachdem sie mit dem neuerlichen Titel die „Göttliche“ Suzanne Lenglen in der Grand-Slam-Statistik überholte. Und: „Bis zum nächsten Mal.“ Ein nächstes Mal wird es hoffentlich in Melbourne auch für einen genesenen Stefan Edberg geben. Der besaß nämlich zum Abschied die Unverfrorenheit, seiner Enttäuschung mit jenem vierbuchstabigen Wort Ausdruck zu verleihen, das hier John McEnroes Ende bedeutet hatte. Hoffentlich blieb das unerhörte Wort bei den prüden und weltfremden australischen Sittenwächtern ungehört, sonst ist Edberg das erste Opfer jener Boris Beckerschen Prophezeihung: Es werde der Tag kommen, hatte der Leimener gesagt, da sagst du ein einziges falsches Wort, und du darfst nach Hause fliegen.
Fuck the hell, bloody Tennis, wenn es dazu kommt.
Männer-Einzel: Ivan Lendl (CSSR) - Stefan Edberg (Schweden) 4:6, 7:6, 5:2, Aufgabe Edberg
Damen-Einzel: Steffi Graf (Brühl) - Mary Joe Fernandez (USA) 6:3, 6:4
Männer-Doppel: Pieter Aldrich/Danie Visser (Südafrika) Grant Connell/Glenn Michibata (Kanada) 6:4, 4:6, 6:1, 6:4
Frauen-Doppel: Jana Novotna/Helena Sukova (CSSR) - Patty Fendick/Mary Joe Fernandez (USA) 7:6, 7:6
Mixed: Jim Pugh/Natalia Zwerewa (USA/UdSSR) - Rick Leach/Zina Garrison (USA) 4:6, 6:2, 6:3
Junioren-Einzel: Dirk Dier (Saarbrücken) - Leander Paes (Indien) 6:4, 7:6
Juniorinnen-Einzel: Magdalena Malejewa (Bulgarien) - Louise Stacey (Australien) 7:5, 6:7, 6:1
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