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Studenten wider die Vereinigung

Gesamtdeutscher Studentenkongreß in Düsseldorf will „Gegengewicht zur nationalen Besoffenheit“ setzen / Handfeste Solidarität wird akzeptiert, weniger gern ideologische Ratschläge  ■  Aus Düsseldorf Thomas Meiser

Deutsch-deutsche Premiere in Düsseldorf: Unter dem Motto „Wider die Vereinigung - unser Haus heißt Europa“ trafen sich am Wochenende mehr als 200 Studierende, davon knapp die Hälfte aus der DDR, in der Heinrich-Heine-Universität zum „1.DDR-BRD-Studentenkongreß“. Der Kongreß, zu dem auch TeilnehmerInnen aus der CSSR und Frankreich anreisten, wurde von Leipziger, Bonner und Düsseldorfer Studenten gemeinsam vorbereitet. Doch beim Thema Wiedervereinigung geriet die Differenzierung zum Spagat: Zwar stimmten die TeilnehmerInnen darin überein, daß konsequenterweise „schon der Begriff Wiedervereinigung endgültig zu den Akten gelegt werden“ müsse, so die Düsseldorfer AStA-Vorsitzende Kerstin Griese. Schwierig sei es jedoch, ein „Gegengewicht zur aktuellen nationalen Besoffenheit zu setzen“. Denn in der BRD, das zeigten aktuelle Meinungsumfragen, sei nur eine Minderheit gegen die Wiedervereinigung. „Und die DDR -Bevölkerung“, formuliert ein Studentenvertreter aus Greifswald, „wird nicht auf Experimente warten, da wird platt ökonomisch gedacht: ein Anschluß an die BRD verspricht langfristig am meisten.“

Darin allerdings liegt die Gefahr des großdeutschen Nationalismus. Französische StudentInnen favorisieren zur Gefahrenabwehr die Idee des europäischen Hauses: Sie sind dabei, einen gemeinsamen Diskussionszusammenhang europäischer Studierender zu schaffen. Gesponsert von der französischen Staatsbahn wird Ende März der „Zug für einen europäischen Frühling“ in Richtung Osten durch den Kontinent fahren und in jedem Land StudentInnen mitnehmen. Die sollen eine gesamteuropäische Position entwickeln, über die auf einem Kongreß in Paris befunden wird. Bis dahin wird der zweite deutsch-deutsche StudentInnenkongreß am 16. bis 18.Februar in Leipzig stattfinden. Dort soll in größerem Rahmen vor allem über eine Hochschulreform in der DDR diskutiert werden. Schon jetzt werden über 1.000 TeilnehmerInnen erwartet.

Da das für jeden DDR-Studenten obligatorische Büffeln des „Marxismus-Leninismus“ sich wegen Paradigmenwechsels im Wissenschaftsbetrieb erledigt hat, ist ihr größtes aktuelles Problem: Wie wird dieser Freiraum ausgefüllt? „Irgendwie muß sich jetzt ein neues Weltbild herauskristallisieren“, meinte ein Student aus Karl-Marx-Stadt dazu, „und das wird sicher mit kapitalistischen Grundmustern entstehen.“

Weil sie sich über die absehbare marktwirtschaftliche Zukunft ihres Staates keiner Illusion hingeben, amüsierten sich die DDR-Studies eher über Ratschläge ihrer westlichen Kommilitonen, die ihnen die Segnungen des Demokratischen Sozialismus näherbringen wollten: „Mit dem Wort Sozialismus werden wir am Wahltag wenig gewinnen können.“ Dagegen werden handfestere Methoden der Solidarität vorbehaltlos bejaht. Druckmaschinen und Kopierer, aber auch Fachbücher und Skripte werden da von hüben nach drüben geschickt.

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