: Die Krise akzeptieren!
Zur Wirtschaftskonferenz des Neuen Forums ■ N O C O M M E N T
Wirtschaftskonferenzen des Neuen Forums ermöglichen den Blick auf eine Gefühls- und Bewußtseinlage, die noch wenig vom parteipolitischen Programm-Import aus der BRD geprägt ist. Schließlich ist das Neue Forum auch eine Organisation, die Diskussionen ohne Konsenszwang ermöglicht. Weil das Neue Forum gesellschaftliche Verantwortung übernommen hat und weiter übernehmen wird, ist eine solche Konferenz auch mehr als nur ein akademischer Debattierklub. Die bundesdeutschen Kapitalvertreter haben sowohl die Mittler- als auch die Mitwirkungsmöglichkeiten des Neuen Forums begriffen und sich auch deshalb dort in solch großer Anzahl eingefunden.
Desolat stellt sich allerdings die Lage der ExpertInnen aus der DDR dar, und nicht einmal nur die des Neuen Forums. Denn kaum thematisiert wurde der Umfang der Krise, in die die Wirtschaft der DDR sehr bald schlittern wird. Diskutiert wurden Modelle und Programme, die darauf hinauslaufen, faktisch einen halbwegs sozialverträglichen Übergang nicht allein zur Markwirtschaft, sondern auch in das politische System der Bundesrepublik zu garantieren.
So bedauerlich das ist - realistisch gesehen, ist der Zug zur deutschen Einheit und zum einheitlichen Wirtschaftssystem nicht mehr aufzuhalten. Um so bedrückender ist der Umstand, daß der Anschluß der DDR an die BRD unter krisenhaften Bedingungen nicht diskutiert wurde. Je stärker aber die (noch) oppositionellen Gruppen davon überrascht werden, je weniger schnell sie sich auf den kaum noch abwendbaren Zusammenbruch ökonomischer Strukturen einstellen, um so eher werden die Krisenmanager aus der BRD das Heft in die Hand nehmen. Und das bedeutet: Um so billiger wird die DDR, um so weniger können gesellschaftliche Errungenschaften noch in das neue Deutschland gerettet werden, das eine BRD mit 15 oder 16 Bundesländern sein wird.
Ein kleines Szenario: Was passiert, wenn die Wirtschaftsreformen weiterhin so mühsam vorankommen wie bislang? Denn der Öffnungsprozeß der DDR für Westkapital ist ein Klacks im Verhältnis zu den Problemen, die etwa die Preis- und Lohnreform oder das geplante Ende der Monopolproduktion mit sich bringt. Zwar nimmt die Diskussion um faktische Zuzugsbeschränkungen für DDR-BürgerInnen (Nachweis von Wohnung und Arbeitsplatz) rapide zu, aber hier gibt es, wie an so vielen Stellen, Ungleichzeitigkeiten: Während die BRD eine halbe Million ÜbersiedlerInnen politisch gerade noch verkraften mag, bricht derweil in der DDR die Produktion regelrecht zusammen. Oder: Wenn die Bundesregierung es schafft, die weitere Übersiedlung schnell einzudämmen, wird es einen Rückstau der Unzufriedenheit geben, der sich in Massenstreiks äußern wird, die noch bei arbeitskampferprobten ItalienerInnen Erstaunen hervorrufen wird. Zugleich arbeitet auch die Zeit gegen die DDR: Es besteht keine allzu große Hoffnung, daß unter Wahlkampfbedingungen in den kommenden sechs Wochen noch allzu gravierende Entscheidungen getroffen werden.
Die Drecksarbeit bleibt also nach dem 18. März an den neuen Parteien hängen. Die werden es wohl kaum fertigbringen, der DDR-Bevölkerung eine Arbeitslosigkeit von zwanzig, dreißig Prozent zuzumuten, auch wenn sie beschönigend „Übergangsfreisetzung“ genannt wird. Doch die Krise, die im Abwanderungsverlust und der weitgehenden Konkurrenzunfähigkeit der DDR-Betriebe eine wesentliche Ursache hat und durch Produktionsausfälle ausgelöst wird, dürfte kaum aufzuhalten sein und das Frühjahr und den Sommer über weiter zunehmen; ergo werden Neuwahlen nötig. Vielleicht im Dezember? Daß sie dann die politische Qualität einer Volksabstimmung über den Anschluß der DDR-Länder an die Bundesrepublik haben werden, liegt auf der Hand.
Wenn sich die neuen Gruppen und Parteien von einer solchen oder einer ähnlichen Entwicklung überraschen lassen, wird eine bedingungslose Kapitulation der DDR auf der Tagesordnung stehen. Zu retten gibt es schon jetzt nicht mehr allzuviel. Wichtig ist aber die Bereitschaft der neuen Parteien, der Bevölkerung die Dimension der hundsmiserablen Zukunftsaussichten klarzumachen. Das aber setzt voraus, daß sie die Krise akzeptieren und daraus die erforderlichen Not- und Bewirtschaftungsprogramme entwickeln. Sonst ist der letzte Spielraum vertan; dann werden als Nothelfer tatsächlich nur noch die smarten Herren aus Bonn, Frankfurt, München und Stuttgart tätig. Das ist dann das Ende vom Ende der DDR.
Dietmar Bartz
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