: Alles im Saale. Fast alles vorbei.
Nachdem der Freien Volksbühne in Westberlin in den vergangenen Jahren wegen anhaltender Verschuldung und leerem Parkett mehrfach die gelbe Karte gezeigt wurde, ist nun die rote gezückt worden: Kultursenatorin Anke Martiny will Intendant Hans Neuenfels spätestens zum Ende der laufenden Spielzeit kündigen und hat seinen Stellvertreter Harry Reich -Ebner bereits von seinen Aufgaben entbunden. Neben Vorwürfen, welche die Finanzverwaltung allgemein (und ein bisher nicht aufgeklärtes Defizit von einer Million DM) betreffen, werden Reich-Ebner Unregelmäßigkeiten bei der Spesenabrechnung in nicht unerheblicher Höhe und andere Privatnutzungen öffentlicher Mittel vorgeworfen. Er weist die Vorwürfe allerdings entschieden zurück und wird, da man ihm nicht offiziell gekündigt habe, zunächst weiterarbeiten. Sein Kollege Hans Neuenfels soll hohe Summen aus Subventionsmitteln in sein Filmprojekt über Kleist gesteckt haben. Die Kultursenatorin verwies darauf, daß die Besucherzahlen des Theaters seit langem unbefriedigend sind. Die durchschnittliche Zuschauerzahl in der Spielzeit 87/88 lag, je nach Drama, bei 36 bis 480 Zuschauern, in der letzten Saison bei durchschnittlich 131 bis 377 Personen (das Haus hat mehr als 1000 Sitze). Die Subventionen für 1988 betrugen 14,476 Mio., die Kasseneinnahmen 700 000 DM. „Ein Prüfbericht der Senatsverwaltung über die Wirtschaftsführung des Theaters der Freien Volksbühne vermittelt ein absolut erscheckendes Bild vom Umgang mit öffentlichen Mitteln. Aus diesem Prüfbericht ergeben sich sehr erhebliche Rückforderungsansprüche des Landes Berlin gegen die FVB-GmbH.“, lautet die Pressemitteilung Anke Martinys. Die SPD will jetzt prüfen lassen, ob Frau Martinys Vorgänger Volker Hassemer (CDU) in der vorangegangenen Spielzeit des Senats „seine Pflichten als Zuwendungsgeber“ der Bühne verletzt habe. Das Schicksal der Volksbühne scheint um so unsicherer, als das Haus wegen Instandsetzungsarbeiten ohnehin ab Anfang nächsten Jahres zunächst geschlossen wird. Erst 1992, nach Abschluß der Renovierung, soll das Theater dann einen neuen Intendanten bekommen.
Die Belegschaft der Freien Volksbühne hat in einer Betriebsversammlung am 27.1. eine Erklärung verabschiedet, die sich dagegen richtet, „daß der Senat die Vorwürfe gegen die Intendanz ausnutzt, um zugleich mit der ungeliebten Intendanz die gesamte Belegschaft loszuwerden.“ Während die Senatorin den nichtkünstlerisch Arbeitenden der Volksbühne einen Sozialplan angeboten hat, „der sie für die Zeit des Umbaus zu Dienstleistungen an anderen Berliner Bühnen verpflichtet“, fragt sich die Versammlung, warum nicht nach Lösungen gesucht wird, „die die Erhaltung des Ensembles und der übrigen Belegschaft einschließen?“ - zumal der Senat ja beabsichtigt, die Freie Volksbühne nach 92 wieder als Repertoire-Theater mit festem Ensemble zu betreiben. Die Belegschaft fordert Beteiligung bei allen Schritten, welche die Zukunft der Freien Volksbühne betreffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen