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Weltmeister im Dauerbanksitzen

■ Das neue Stück von Ria Endres in Darmstadt

Marie-Luise Bott

In Darmstadt gibt es keine Vier-Stunden-Aufführungen. Da wird auch nicht fünf Monate, sondern sechs Wochen lang geprobt. Zum Beispiel an der Uraufführung von Ria Endres‘ Stück Acht Weltmeister (nach Franz Helms Stein der Weisen und Gerlin Reinshagens Tanz, Marie! die dritte Uraufführung in dieser Spielzeit). 1987 geschrieben, erhielt das Stück im vergangen Jahr den Dramatikerpreis des Bundes der deutschen Theatergemeinden und damit eine Aufführungsgarantie.

„Jedes meiner Stücke“ - die 43jährige Frankfurter Autorin hat neben etlichen Hörspielen bisher drei geschrieben - „ist ein anderer ästhetischer Entwurf. Und beim zweiten, den Acht Weltmeistern, lag der Reiz für mich darin, auf soweit wie möglich reduziertem Raum spielen zu lassen. Was tut sich in einer ausweglosen Situation, wenn es nicht mehr weitergeht? Die Leute machen keine Gänge mehr, sie sitzen einfach nur da, in ihrem Wahn. Diese Strenge dessen, was da passieren kann, das habe ich durchexerziert. Ich wollte kein luxuriöses Theater inszenieren, keinen Ästhetizismus auf die Bühne bringen. Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Mich haben einfach diese acht Menschlein in ihrer ausweglosen Situation interessiert“, sagt Ria Endres in einem Gespräch mit der taz. Später erinnert sie an Ingeborg Bachmann: „Keine Delikatessen mehr.“ Endlich! Endlich wird so etwas nicht nur gedacht, sondern gespielt, öffentlich auf einer Bühne ausprobiert.

Der Vorhang geht hoch, und herab fährt das Dach eines Hochhauses mit einer Bank und acht Männern darauf. Der Rundhorizont ist blau wie das Ultramarin von Yves Klein (Bühne: Arno Breuers). Darüber zwei, drei rote Würstchenwolken, rechts und links graue Hauswände: ein amerikanisches Hochhausdach in hoffentlich ferner Zukunft. Da sitzen sie also, unsere angehenden Weltmeister im Dauerbanksitzen, vier unten, vier oben auf der Lehne. Und zu diesem heldenhaften Auftakt passen einige festliche Akkorde von Beethoven natürlich sehr gut.

Niemand darf von der Bank herunter. Also müssen verschiedene „Nummern“ abgezogen werden, damit die Zeit bis zu Rekord, Prämie und Ruhm möglichst schnell vergeht. Zunächst das Essen: Gesponsert werden die acht von einer Wurstdosenfirma, die sie täglich mit Rinder- und Schafshirn beliefert, was sich weniger im Kopf als in Dickbäuchigkeit niederschlägt. Dann das Schlafen: Eigentlich ist es verboten. Aber die zwei links außen, Edgar und Doc Dad, können es offenbar nicht lassen. Dann die Tricks: Der eine hat einen Sprachfehler, der andere handelt und tauscht gern, den dritten plagen sexuelle Nöte, der vierte hat nervöses Kopfzucken. Dann Platztausch: Wer unten ist, will mal nach oben. Jetzt schwindelt es einen. Jetzt müssen sie mal - mit dem Rücken zum Publikum. Und wieder Beethoven.

Die Musikeinblendungen - all over Beethoven - sind ein Regieeinfall, der entfernt an die Zauberflöten-Einsätze in Kalldewey, Farce von Botho Strauß erinnert. Hier sind sie kein mahnendes „Kehre um“ (Sitzenbleiben ist alles), sondern Zäsuren und kleine Zeitraffer. Durch immer häufigere Einblendungen wird eine wachsende Spannung erzeugt, die das Bühnengeschehen, dieser perpetuierte Stillstand, selbst nicht hat. Und doch verfehlt der Kunstgriff seine Wirkung. Die wenigen Takte Musik in dieses banale, sinnlose Gezappel hinein rufen jedesmal eine so völlig andere Welt ins Bewußtsein, daß das Zuschauen danach um so qualvoller wird. Denn eines ist bald klar: Diese Männer werden „durchhalten“ bis zum ruinösen Ende. Warum also die Banalität dieser absurden kleinen Leistungsgesellschaft weiter mitansehen? Dergleichen geschieht, das ist traurig genug. Aber was gäbe es da an „Motiven“ - außer der völligen Leere - noch zu erkennen?

Es tropft von oben herab. Die chinesische Tortur? Nein, eine Dusche, die den Männerbund plötzlich begießt und wieder verschwindet. So wäre auch das Hygieneproblem gelöst. Vielleicht filmt auch eine in der Dusche versteckte Fernsehkamera heimlich die Weltmeister ab? Jedenfalls aber ist sie kein metaphysisch-tragischer Witz; hier geht es deutscher zu als bei Beckett: Als Doc Dad, der Oberste Befehlshaber, zuvor die „Schirmprobe“ für den „Ernstfall“ anordnete, wurde das ein strammes Exerzieren. Kopftraining, Körpertraining, tadelloser „Teamgeist“. Und nach der Dusche: seelischer Aufbau „kurz vor dem Ziel“, „Disziplin“, die Welt sieht auf euch! Die Bank, auf der die „Jungs“ sitzen, ist eine Stiftung der IG-Farben. Edgar dreht beim „Seelentraining“ durch, sein Text beginnt mit „Mama!“ und endet beim „mitteleuropäischen und nordamerikanischen Hochleistungsschwanz“. Nach der Pause - Edgar ist schon „etwas tot“, die Männer verwittern wie vor Stalingrad entdeckt Hank, daß Doc Dad sich heimlich die Freiheiten nimmt, die er den anderen ausredet: Er turnt auf der Bank herum, während die anderen noch schlafen. Hank will aufgeben und die Bank verlassen. Aber er kann es nicht, knapp vor der Revolte sackt er wieder zurück. Als hinter dem amorphen Menschenknäuel auf der Bank ein Feuerwerk explodiert, ist keineswegs Apokalypse. Es brennt nur - ein Einfall des Regisseurs Büchel - das Miniaturmodell dieser Bühne mit Mann und Maus. Recht so.

Männer, sagt Ria Endres, sind durch das, was sie über Jahrhunderte in dieser äußeren Welt, in ihrem Leistungswahn vorgeführt haben, prädestiniert dafür, so dargestellt zu werden. Hat sie Freude an Klischees? „Nein, ich führe sie vor, um sie zu brechen.“ Sie treibt es auf die Spitze. Wollte sie zeigen, daß diese Väter und Söhne auf der Bank ewig vor der Revolte steckenbleiben? „Ich würde es anders sagen. Ich meine, diese ganzen Revolten haben nichts genützt. Das ist alles nach der Revolte, nach der Aufklärung, nach allen Einsichten über die Welt. Alles, was es gab - die Kulturgeschichte Europas -, hat ihnen nichts genutzt. Sie sind so, wie sie sind. Obwohl sie Teil dieser Geschichte waren, sind sie in dieser Geschichte versackt. Und das beweist ja auch unsere Geschichte: Sie sind versackt.“ Für die auf der Bühne gezeigten Figuren wäre also die historische Perspektive - deadline? „Ja. Ich bin durchaus Pessimistin. Aber ich glaube, daß es immer wieder auch ein paar andere gibt. Mich hat eigentlich interessiert, wie die acht allmählich zu einem menschlichen Haufen zusammenwachsen: dieses Weggehen vom Individuum. Ich meine, sie könnten die Bank ja verlassen. Ich nehme an, Frauen würden vielleicht von der Bank runtergehen. Die würden gehen, das ist vielleicht meine kleine Hoffnung. Aber dieses Gruppenphänomen, was immer wieder in diesem Männergesellschaften so wunderbar praktiziert wird, vor allen Dingen auch im Krieg, aus dem sie ja nicht weggerannt, sondern immer dageblieben sind. Sonst hätte es ja diese ganzen Kriege nicht gegeben. Das habe ich eben jetzt als dieses Sechszehnfüßlersystem dargestellt.“

Ein klares Ja zu Ria Endres‘ ästhetischem Ansatz und zu dem von ihr gewählten Thema, der Frage nach dem Woher dieser Stillstandsgesellschaft. Aber die Versuchsanordnung ist unspielerisch und „naturwissenschaftlich“. Die szenisch -dramatische Lösung scheint nicht geglückt.

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