: Senat fordert Direktwahl für Berliner
■ Bedenken der Sowjets angeblich kein Hindernis
Bonn (taz) - Nach Ansicht des Westberliner Senats haben „allein die Westmächte zu entscheiden“, ob sich die WestberlinerInnen bereits an der nächsten Bundestagswahl direkt beteiligen können. Diese Auffassung vertrat gestern in Bonn der Leiter der Berliner Senatskanzlei, Dieter Schröder, nachdem tags zuvor die ablehnende Haltung der Sowjetunion gegenüber einer derartigen Wahlrechtsänderung bekannt geworden war. In einem Kommentar der Presseagentur 'Nowosti‘ hatte es unter Berufung auf das sowjetische Außenministerium geheißen, eine Direktwahl stelle einen „eindeutigen Verstoß gegen den Status West-Berlins“ und eine Verletzung des Viermächteabkommens dar. Die Meinung der Sowjetunion könne dabei nicht ignoriert werden, ohne daß sich „die politische Atmosphäre in dieser Region verdüstert“.
Dieser Warnung mißt der Berliner Senat aber offensichtlich keine Bedeutung bei. „Ich gehe davon aus, daß die Berliner den nächsten Bundestag mitwählen werden“, sagte Schröder gestern. In den vergangenen Monaten habe es verschieden lautende Signale aus der Sowjetunion gegeben; letztendlich werde sich die sowjetische Regierung in dieser Frage mit einem „Mittelweg“ einverstanden erklären. Dieser „Mittelweg“ entspricht für Schröder wiederum genau der Position seines SPD-geführten Senats in Abgrenzung zu weitergehenden Vorstellungen in der Union. Das heißt: Direktwahl zum Bundestag und im Bundestag ein abgestuftes Stimmrecht, das zum Beispiel die Beteiligung an der Wahl des Bundeskanzlers erlaubt, aber nicht den Status von Berlin in Frage stellt. Die bisher gesonderte Übernahme von Bundesrecht durch das Berliner Abgeordnetenhaus dürfe nicht angetastet werden; auch dürfe die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts nicht auf West-Berlin ausgedehnt werden. Durch derart „ausgefeilte“ Regelungen des Stimmrechts würde nach Ansicht des Senats das Viermächteabkommen nicht berührt.
Mit einer Direktwahl zum Bundestag würde gleichzeitig der bisherige politische Mitvertretungsanspruch für die OstberlinerInnen aufgegeben, erläuterte Schröder gestern. Statt der bislang 22 aus dem Abgeordnetenhaus nach Bonn entsandten Vertreter für „ganz Berlin“ würden künftig in acht Wahlkreisen 15 oder 16 Abgeordnete gewählt. An einem entsprechenden Gesetzentwurf arbeitet das Bonner Innenministerium bereits seit Dezember; durch ein verkürztes parlamentarisches Verfahren könnte die Wahlrechtsänderung bereits im Frühjahr vorliegen. In Bonn geht man von der zustimmenden Haltung der Westmächte aus. Würde der bisherige Entsendungsmodus für die Westberliner Bundestagsabgeordneten abgeschafft, dann wären die „Republikaner“ nicht automatisch im nächsten Bundestag vertreten.
Charlotte Wiedemann
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