: Zauber verschluckt
■ Elisabeth Leonskaja und Heinrich Schiff in der Glocke eindrucksvoll
Einiges mag für den großen Glockensaal sprechen: seine Größe, die Anzahl der AbonnentInnen und „Benedetti“ zum Beispiel; ob aber ausgerechnet Kammerkonzerte - auch wenn sie der Meisterkonzert-Reihe angehören - in ihm stattfinden müssen, ist zumindest fraglich. „Kammermusik“, der Begriff sagt es bereits, benötigt eine gewisse Enge, ohne deren Hermetik sich die intime Aura des Klanges nicht entfalten kann.
Die eindrucksvolle Vorstellung von Elisabeth Leonskaja (Klavier) und Heinrich Schiff (Violoncello) litt an eben jenem Raum, der den Nuancen auflauerte, um sie rücksichtslos zu verschlucken. Die „Zeichen“ des Programmes standen hingegen günstig; sie beschränkten sich nämlich auf die Epochen der Musikgeschichte, bei denen man mit guten Gründen annehmen konnte, daß die beiden Interpreten etwas davon verstehen. Brahms Sonate in e-moll entfaltete sich als ein
subtil gestaltetes Geflecht thematischer Beziehungen. Adornos Lektion, „der erste Schritt, Kammermusik richtig zu spielen, ist, zu lernen, nicht sich aufzuspielen, sondern zurückzutreten“, war so ernsthaft befolgt, daß die Akzentuierung der kompositorischen Substanz die nahezu vollständige Durchhörbarkeit gewährleistete. Nur an wenigen Stellen könnte man über die mangelnde Plastizität des Variationsverfahrens mäkeln. Schostakowitschs Sonate op. 40 ließ dann in der Tat kaum noch etwas zu wünschen übrig. Das Werk aus dem Jahre 1934 gehörte mit zu den letzten der sogenannten „ersten Schaffensperiode“, die aufgrund der plötzlich einsetzenden Repression - ausgelöst durch zwei Kritiken, die Anfang 1936 in der „Prawda“ zwei Bühnenwerke des Komponisten verrissen - relativ schnell ein Ende fand.
Elisabeth Leonskaja und Heinrich Schiff hoben bis zum Extrem die Ausbrüche hervor: plötzliche
Explosionen, heraufschießend aus leisen, gequälten Klangregionen. Groteske Episoden wechselten abrupt, clowneske Anklänge und zitatähnliche Verfremdungen schnitten Grimassen, um ebenso schnell zu verschwinden, wie sie gekommen waren. Ein Wechselbad zwischen lyrischer Verhaltenheit, aufbrausender Unmäßigkeit und Komik.
Mit Chopin schloß der Abend. Die Sonate g-moll, eines der wenigen kammermusikalischen Werke des Komponisten, überwiegend beherrscht von den technischen Anforderungen des Klavierpartes, zeichnete eine Art „typischer Romantik“: elegisch, auch in den schnellen Sätzen sanft und eher weich. Ihr Eindruck war, trotz der engagierten Ausführung, am deutlichsten durch die Räumlichkeit beeinträchtigt. Der Zauber verinnerlichter Gefühle in der Atmosphäre einer gigantischen Halle will nicht recht zum Tragen kommen.
H. Schmid
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