piwik no script img

Es war eine Lust

■ Lit.gespräch auferstanden stop Lit. Öffentlichkeit gibt es doch! stop alles wg. Jelinek

Cora Stephan, Volker Hage, Jörg Drews und Moderator Gert Sautermeister umkreisten Elfriede Jelineks Lust mit ihren unterschiedlichen bis kontroversen Leseerfahrungen freundlich unnachgiebig, angeregt, belesen, aber zwei Stunden eng an diesem einen Text dieser einen Frau. Es war eine Lust, dieses zweite Literaturgespräch im wieder überfüllten Kultursaal der Angestelltenkammer.

Damit jede wußte, wovon die Rede ist, las Minni Oehl, Spielerin am Schauspielhaus, ein Stück aus der nie enden wollenden, durch Video verstärkten Lust des Fabrikanten, der seiner interesselosen Frau sein Organ, sein Ding, seine Wurst, seinen Senf reintut, immer gleich, immer gemeiner getunkt in den barocken Wortstrom der Jelinekschen Präzisionsbosheit.

Die Oehl las mit so blasphemischer Ironie, solcher Lust, jedes Wort spitzfingrig mit einem Hof gewaltsam-sexueller Bedeutung zu versehen, daß gemeines Gelächter sich den Kehlen im Saal entrang, das anschwoll, als Sautermeister eröffnete: „Ich weiß jetzt nicht, wo Ihnen der - äh - Sinn steht...„ Volker Hage hatte es schwer, seine Leseerfahrung aufrecht zu erhalten: Die „ungeheure Ernsthaftigkeit eines Buches, das gegen alles wettert,“ habe ihn „nur angeödet“. Haupteinwand: Jelinek hat das Phantom der enormen, ungeheuren Potenz des Mannes aus der Pornografie übernommen.

Die „allerhöchste Liebe und Sympathie“ des Bielefelder Literaturwissenschaftlers und Kritikers der „Süddeutschen Zeitung“, Jörg Drews, hatte umgekehrt gerade Jelineks ironische Distanz bewirkt, ihr Aussprechen der „komischen Komponente, die die Sexualität für jeden hat, der gerade nicht involviert ist.“ Sie habe sich fortgeschrieben von der ursprünglich proklamierten „feministischen Kampfschrift“, dem „antipornografischen Moralismus“. Gerade der unverstellte Haß, „das Vorgehen gegen alle“, bei auffällig wenig Mitleid für die Frau, habe ihr neue Formulierungsmöglichkeiten eröffnet.

Kurzer Konsens am Tisch. Auch Volker Hage hatte „den Abscheu, mit dem der weibliche Körper beschrieben“ wird, neu gefunden, „sexualfeindlich“, vor allem aber frauenfeindlich. Die Männer, fand er auf einmal, würden milder veräppelt.

Es sei nicht sexualfeindlich,

stieg Drews aus der Einigkeit aus, nur werde nicht immer wieder gleich eingeschränkt: so schlimm ist es doch alles gar nicht. Die Erzählperspektive sei nicht die des Mannes, sondern changiere zwischen Mann, Frau, Kind, der Ton zwischen höhnisch, ironisch und mitleidig. So treiben sie sich denn gegenseitig in die Höh‘ und Sautermeister in schwäbisch-ekstatische Interpretationen über die Sexualität als „Kette von Wiederholungen, an der man schließlich vor Langeweile stirbt“. Nur die vidiotische Verdoppelung schenke die „Lust, die man sonst nirgends empfindet.“

Jeder gab seine schönste Interpretation, keiner kriegte Recht,

und die göttlich-süffisante Cora Stephan löckte lustvoll gegen alle Stachel. Z.B. Hages und Drews ursprünglichen Glauben, es gehe um Antipornografie. Jelinek sei zwar „sehr viel besser als Henry Miller, was die pornografische Qualität betrifft“, ansonsten sei aber Sexualität nicht der Literatur fähig und das Faszinierende an dem Buch das „Reden übers Reden“.

Und immer wieder Stephans tückische Frage nach den Männern in den Kritikern: „Wie geht es Ihnen, wenn eine Frau schreibt: So isses mit Euch?“ Und: „Dieser Mann (in Lust) ist ja einfach von seinem Trieb abhängig, das ist ja nicht zu fassen, wie

der von seinem Organ durch die Gegend gezerrt wird.“ Volker Hage zweifelte, ob sein Honorar für die Frage hoch genug sei, hatte aber in Literatur und Leben eher Aggressivität beim Weibe angetroffen, Jörg Drews hielt den Organtrieb für realistisch, in der Steyermark und als Rede auf dem Bau; nur der mutige Gert Sautermeister wies zwar auf den Potenzunterschied zwischen arbeitergebietendem Fabrikdirektor in Lust und einem Professor hin, der zu zartsinnigem Umgang mit Studenten verpflichtet sei, wähnte aber, daß heutzutage „auch dem Softesten nicht“ das Aggressiv-Destruktive seiner Sexualität verborgen blieb.

Von Cora Stephan fürs Poesiealbum: „Lust ist ein rundum menschenfeindliches Buch, das macht seine hohe Qualität aus. Literatur kann ausdrücken, was wir in dieser Welt unbehaglich finden können. Das hat nichts mit Realität zu tun.“ Uta Stolle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen