: HARUN FAROCKI
■ Music rules
Die Fernsehsender geben Geld aus für das Programm und nehmen es ein mit Werbung. Wenn Programm zu Werbung im Gegensatz steht und das Programm die Zuschauer anzieht, so muß die Werbung die Zuschauer abstoßen. Das ist wahr und läßt sich induktiv beweisen: So viele Menschen auch gerne Werbung sehen, so gibt es doch keinen Sender, der nur Werbung ausstrahlt, während es Sender gibt, die keine Werbung haben und dennoch Zuschauer anziehen.
Mit dem Videoclip fallen Programm und Werbung zusammen. Was ist ein Videoclip? Die Musikindustrie hat das vor ein paar Jahren im Experiment ergründen wollen und von den Sendern für die Ausstrahlung Geld verlangt. Die Sender entgegneten, die Clips seien eine Werbung für die Produkte der Musikindustrie. Man einigte sich, daß Clips unentgeltlich gesendet werden dürfen.
Mit dem Videoclip sind Inhalt und Reklame nicht mehr sinnvoll zu scheiden, werden sie unzertrennlich wie zwei Menschen nach dem romantischen Liebesbegriff. Weniger innig ist die Verbindung von Bild und Musik im Clip. Früher sagte man, eine Filmmusik sei dann gut, wenn nicht bewußt würde, daß sie da ist, und Gleiches hilt heute für die Begleitbilder zu den Musikstücken. Die Bilder sind der Musik unterworfen und dienen ihr in einer Weise, die keine Idee der Befreiung entgegensetzt.
Stets ist es die Tonspur, die das Kommando über die Bilder hat. Außerhalb der Videoclips sind es beim Fernsehen die Wörter, denen die Bilder nachgeordnet werden. Man kann herleiten, welche Bedeutung das Wort hat bei der Begründung und Verbreitung von Religionen, bei Durchsetzung und Vollzug der Herrschaft. Das Einfache ist, daß Wörter leichter handhabbar sind als Bilder, leichter in Regeln zu fassen, leichter zu übermitteln, leichter umzustellen, und somit gegenüber den Bildern einen Produktionsvorteil haben.
Auch die Musik hat vor den Bildern einen Produktionsvorteil, ist schneller industrietauglich als die Bilder. Die Musikindustrie ist hochorganisiert, weil die Musik im technischen Sinne kalkulierbar ist. Man sagt, die Musik sei abstrakter Ausdruck, die Musik befördert Abstraktion - zu ihrer Produktion bedarf es keiner Musiker und keiner Musikinstrumente mehr. Statt dessen gibt es Musikerdarsteller mit Requisiten, und es ist Aufgabe der Clips, davon Bilder zu verbreiten.
Noch immer werden die meisten Fernsehbilder hergestellt, indem man einen tatsächlichen Menschen oder Gegenstand an einen tatsächlichen Ort bringt und analog in Bilder umwandelt. Das kostet viel Geld, und die Sender, die keine Gebühren einnehmen, senden gerne Videoclips, für die sie nichts bezahlen müssen. Mit dem Videoclip ist die Werbung nicht mehr abstoßend - es gibt Sender, die fast nur Clips senden - und das Programm nicht mehr programmatisch. Die Clips zersetzen das Programmatische im Nichtclipprogramnm. Das ist deutlich zu sehen, wenn in Musikmagazinen ein sprechender Mensch gezeigt wird und nach wenigen Sekunden zu einem handflächengroßen Bild im großen Bild schrumpft, das Clipmotive zeigt. Man kann hoffen, daß mit den Bildern von den sprechenden Menschen die Wichtigtuerei aus dem Fernsehen verschwände, aber im Getue der Musiker ist sie zuvor schon wiedergekehrt.
Man hat an den Clips kritisiert, daß das ein hetziger Superlativismus ist. Daß es von einem Gegenstand mehrere Bilder nacheinander gibt, die einander in versuchter Überbietung aufheben. Daß ein Bild schnell auf das nächste folgt, weil keines sich dauernden Ausdruck zutraut. Daß die Bilder nicht selbst Bilder sind, sondern rippenstoßend an ihre Vorbilder erinnern wollen. Das alles ist wahr und ist noch gut dazu, die Musik ein weiteres Mal zu vergotten: Für die großen Götter gibt es keine passenden Bilder.
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