piwik no script img

Grünes Licht für Deutschlands Einheit

■ Die Äußerungen Gorbatschows zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten ernten Zustimmung

In den USA, dem Land, das Selbstbestimmung und Demokratie schon immer löffelweise zu essen geglaubt hat, stoßen die „Deutschland- einig-Vaterland„-Rufe auf ein positives Echo. In der UdSSR sind außenpolitische Fragen zur Zeit eher ins hintere Glied gerückt. Bonn sieht den Weg jetzt frei „für eine konstruktive Europa- und Deutschlandpolitik“ - die CSU verspürt offen Genugtuung.

In den USA wird die Wiedervereinigung Deutschlands kaum kontrovers diskutiert. Man schaut dem Prozeß - so wie er sich vom Mauereinbruch bis hin zu Modrows Moskauer Deutschland-Bekenntnis täglich in den US-Medien entfaltet eher staunend zu. Das gilt für die berühmte Person auf der Straße ebenso wie für den aus ihren akademischen Sicherheiten gerissenen Germany-Analysten der Washingtoner Gedankenfabriken (think tanks) und am Ende wohl auch für die Bush-Administration.

Die skeptische Selbstreflexion eines Bundesdeutschen stößt hier nur auf Kopfschütteln und Unverständnis. Ein deutsches Image-Problem scheint es an der amerikanischen Ostküste und außerhalb der jüdischen Gemeinde zumindest nicht zu geben. Wie dies im tiefen Mittelwesten aussieht - dort wo die Rekruten für Amerikas militärische Einsätze vom Zweiten Weltkrieg bis Panama herkommen -, das vermag kaum einer zu sagen. Mögliche Ängste vor einer Wiederholung des deutschen Größenwahns finden jedenfalls kaum eine Artikulation, der Mangel an Information über Nachkriegsdeutschland tut ein übriges. Und um die gleichen Ängste wie Polen und Franzosen zu haben, ist man hier in Amerika viel zu weit entfernt von dem Wiedervereinigungsschauplatz.

Amerikas Expertokratie versucht unterdessen krampfhaft, sich der Geschehnisse zwischen Bonn und Berlin intellektuell zu bemächtigen. Washingtons Politikmacher wenden sich an die Akademiker, um in den Disziplinen der foreign relations oder international affairs allerdings nur auf ungläubiges Staunen über die deutsch-deutschen Entwicklungen zu stoßen. „Wir wissen gar nicht, wie wir mit einer Analyse beginnen sollen“, so beschreibt Joyce Mushaben vom American Institute for Contemporary German Studies das Problem der Deutschlandforscher, „denn nach unseren Daten und Analysen hätte dies ja alles gar nicht passieren dürfen.“

Mit sowenig Hilfestellung von seiten der traditionellen Politikberater blieb die Politik der Bush-Administration allein dem politischen Instinkt der Führungsmannschaft überlassen. George Bushs völlig unhistorische Äußerung nach dem 9.November, die Wiedervereinigung sei allein Sache der Deutschen, wurde erst Wochen später von Außenminister James Baker bei seinem Berlinbesuch korrigiert. Nach Orientierung suchend, hatte die Bush-Administration die Vorschläge und Positionen der Briten und Franzosen mit an Bord genommen und stellte ihre seitdem allseits anerkannten vier Bedingungen auf, die den Rahmen einer selbstbestimmten (1.), in Nato und EG eingebetteten (2.), friedlichen und stufenweisen (3.) und mit den vier Mächten abgesprochenen (4.) Wiedervereinigung setzen sollten.

Erst bei der Diskussion der Modalitäten der Wiedervereinigung im Rahmen einer westeuropäischen Integration wurde Amerika langsam klar, daß mit der deutschen Frage plötzlich auch das gesamte Verhältnis der USA zu Europa einer grundsätzlichen Neubestimmung bedarf. „Dies ist das Ende des amerikanischen Westeuropas“, so formulierte es der Politikwissenschaftler Ronald Steel auf einer Tagung zur deutschen Wiedervereinigung im November. Und seitdem wird in Washington heftig diskutiert, ob sich die USA jetzt an dem immer ungeliebten KSZE-Prozeß stärker beteiligen sollen, wie das Verhältnis USA-EG weiter gestaltet werden soll und welche Transformation die Nato durchmachen muß oder soll.

Der plötzliche Run der DDR-Bürger auf das bundesdeutsche Kapitalismusmodell hat in den USA in dieser Frage zu einer Auflösung politischer Fronten geführt. Der rechte Kolumnist Patrick Buchanan sprach sich für ein schnelles Disengagement der USA in Europa aus, selbst wenn der Preis ein neutrales Deutschland sei. Andere, wie Jay Kosminsky von der rechten „Heritage Foundation“, sehen darin bereits die Gefahr eines amerikanischen Isolationismus, wie er von Rechten und Linken schon einmal in den 30er Jahren vertreten worden war. Ein starkes und wiedervereinigtes Deutschland sei, so Kosminsky, durchaus im amerikanischen Interesse, jedenfalls solange die USA Beziehungen zu den europäischen Institutionen unterhielten. „Wenn wir die Russen aus Europa raushaben wollen, müssen wir die Wiedervereinigung Deutschlands akzeptieren und Kanzler Kohl zu 100 Prozent unterstützen.“

Umstritten ist in diesem Zusammenhang in den USA die zukünftige Rolle der Nato. Während die „Heritage Foundation“ offenbar eine geschrumpfte Militärallianz befürwortet, sagte Ronald Reagans kalter Pentagon-Krieger Richard Perle in der letzten Woche nicht nur die Auflösung des Warschauer Pakts, sondern auch das Ende der Nato voraus. Andere reden von einer politischen Rolle der Allianz, ohne dies zunächst genauer zu definieren. Und die versprengten Stimmen der Linken fordern, schnell über den Rückzug der Supermächte aus Deutschland mit Deutschland und den anderen Europäern in Ost und West zu verhandeln. „Die utopischen Ziele der Friedensbewegung“, so frohlockte die linke Wochenzeitung 'The Nation‘, „werden zunehmend zu einer Angelegenheit politischer Realisten.“

Lediglich George Kennan, Vater der „Eindämmungspolitik“ und geläuterter kalter Krieger, tanzte aus der Reihe der wiedervereinigungstoleranten Amerikaner. Vor einem Hearing eines Senatsausschusses zur „sowjetischen Bedrohung“ warnte der 85jährige Kennan vor den Gefahren einer allzu raschen Wiedervereinigung, ehe das Resteuropa auf eine solche Situation vorbereitet sei. Kennan schloß dabei eine Übergangsregelung für Deutschland mit einer vorübergehenden Rolle für die vier Mächte zur Stabilisierung der „Disintegration“ in der DDR nicht aus. Doch allein die Erwähnung einiger unangenehmer Tatsachen im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung und der Hinweis auf eine mögliche politische Rolle für die USA in diesem Prozeß brachte Kennan herbe Kritik ein. In den USA schaut man der Wiedervereinigung lieber unbeteiligt am Bildschirm zu.

Rolf Paasch, Washington

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen