: Roma müssen nicht mehr betteln
Einigung zwischen Roma und NRW-Landesregierung / Keine Abschiebung / Aufenthaltserlaubnis unabhängig vom Asylverfahren / „De-facto-Staatenlose“ können bleiben / Roma-Sprecher: „Richtiger Schritt in die richtige Richtung“ / Bettelmarsch unterbrochen ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Die nordrheinwestfälischen Roma brauchen nicht länger um eine Aufenthaltserlaubnis zu betteln. Ihr Marsch, mit dem sie seit dem 6.Januar durch NRW ziehen und gegen ihre drohende Abschiebung protestieren, wird unterbrochen. Darauf einigten sich gestern die Vertreter der Roma mit dem Düsseldorfer Innenministerium. Grundlage der Einigung ist ein Angebot von Innenminister Herbert Schnoor, das allen Roma, die sich vor dem 12.1.1990 in NRW aufgehalten haben, eine Einzelfallprüfung zusichert, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Die Regelung gilt auch für die etwa 1.800 Roma, deren Asylanträge endgültig abgelehnt worden sind. Alle Roma, die einen entsprechenden Antrag stellen, werden bis zum Abschluß des Verfahrens nicht abgeschoben.
Das verabredete Procedere - das unter Beteiligung der evangelischen Kirche zustandekam und von dem Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil gestern in Düsseldorf vorgestellt wurde - sieht vor, daß jeder Roma seinem Antrag einen Lebenslauf beifügen muß, in dem glaubhaft gemacht wird, daß es sich bei den Antragstellern um „De-facto -Staatenlose“ handelt. Diese Anträge müssen bei der jeweiligen Ausländerbehörde abgegeben werden. Danach werden die Anträge, so heißt es in der Vereinbarung, „dem Innenminister zur Entscheidung vorgelegt“. Erst nach Vorlage im Innenministerium werden die Kriterien für den Begriff „De -facto-Staatenlose“ festgelegt. „Dabei“, so der Wortlaut im Einigungspapier, „sind Innenministerium und Roma-Verbände um Einvernehmen bemüht“.
Unausgesprochenes Ziel dieses Verfahrens ist es, möglichst viele - wahrscheinlich sogar alle - Antragsteller zu „De -facto-Staatenlosen“ zu machen. Schnoor wird sich im Verlauf des Antragsverfahrens im Bund und bei seinen Länderkollegen darum bemühen, bundesweit einen besonderen Aufenthaltstatus, z.B. ein Wandervisum, für alle Roma durchzusetzen. Gelingt das nicht, wird NRW, so Schnoors Staatssekretär Wolfgang Riotte, für alle staatenlosen Roma in NRW eine Entscheidung treffen.
Der eingeschlagene Weg erlaubt beiden Seiten, das Gesicht
zu wahren. Einerseits gewährt die Rau-Regierung, wie im
Dezember beschlossen, kein generelles Bleiberecht. Dadurch vermeidet sie eine Grundsatzentscheidung, auf die sich
andere Gruppen berufen könnten. Andererseits wird der
Forderung der Roma nach einem dauerhaften Aufenthaltsrecht in NRW in der Praxis am Ende wohl entsprochen. Der
Vorsitzende der „Rom und Cinti Union“, Kawczynski,
bezeichnete das Schnoor-Angebot „als richtigen Schritt in
die richtige Richtung“. Ziel des „Bettelmarsches“ sei es
gewesen, auf das „Schicksal der abschiebebedrohten Familien aufmerksam zu machen und einen Schutz vor gewaltsamer
Ausweisung zu gewähren“. Über Fortsetzung auf Seite 2
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das Antragsverfahren sei nun „ein vorläufiger Schutz vor Abschiebung gewährleistet“ und „die Notwendigkeit des Bettelmarsches nicht mehr gegeben“. Deshalb werde der Marsch unterbrochen, wobei die Roma-Organisationen aber betonen, daß die Prüfung der Aufenthaltsgenehmigung „nicht das Ziel sein kann, sondern der Weg zum Ziel, um den Betroffenen eine dauerhafte Sicherheit zu geben“.
Von dem Schnoor-Angebot wird offensichtlich die übergroße Zahl der Roma Gebrauch machen. Nach Darstellung von Kawczynski beabsichtigen von den weit über 1.500 am „Bettelmarsch“ Beteiligten lediglich zwei Familien, keinen Antrag zu stellen.
Durch die jetzt erreichte Einigung dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, „als gäbe es keine Roma, die
sich zu einem Staat zugehörig fühlen und die dort unter individueller politischer und ethnischer Verfolgung leiden“, heißt es in einer Stellungnahme der „Rom und Cinti Union“.
Das sieht auch die NRW-Regierung so, die auch nach Vorlage des 250 Seiten umfassenden Berichts der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ über die Situation der Roma in Jugoslawien bei ihrer Einschätzung bleibt, daß es, so Riotte, „in Jugoslawien keine Gruppenverfolgung“ der Roma gibt.
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