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SCHLACHTEN AUF DEM SCHAFOTT

■ Szenische Lesung von „Schafott Dramat“ im R.A.M.M./ZATA

Die Bühne war riesengroß und schwarz. Mußte also ausgefüllt werden. Lief also ein Mann auf ihr herum. Erst im Eck, sechs mal sechs m, wie ein Ansager kommentierte. Und der gute Zuschauer dachte: Ah! Beckett! Dann über die ganze Bühne, zwischen Euro-Paletten mit Ziegelsteinen hindurch. Mann war gleich Mensch, war aber eigentlich Lungenfisch, und der traf einen Fernseher. Film im Hintergrund auf der Leinwand, und der Nachrichtensprecher aus dem Off trug mit ehrlicher Stimme Fetzen von Fernsehrealität vor.

Die Bühne war riesengroß und schwarz. Zehnmal zu groß für die zweite „lesung & szene aus geheimen lagen“. Nach „harte ziele weiche ziele“ waren „die verführung, stück für lungenfisch und fernseher“ von G.D. Mirwa und „Kerker“ von P.M. Waschkau an der Reihe. Der Ort aber heiligt die Texte. „Minerva meets Schafott Drammat“ meinte Texte aus der „Zeitschrift für Philosophie und Notwehr“ mit Adresse im Philosophischen Institut der FU; in Szene gesetzt in einem Haus mit Namen, dem R.A.M.M./ZATA. Zwei Stunden lang mit dreißigminütiger Umbaupause große Themen: Es ging um alles. Weniger wäre nichts gewesen, vor allem zu wenig für diese Bühne. Drum ging es gleich um die Crux des modernen Menschen: Um die mediengebrochene Wirklichkeit. Das niemand mehr weiß, was wirklich ist, und das Wirkliche hinter der Wiedergabe des Wirklichen verschwindet. Drum waren auch die Initialen der vier Windrichtungen auf den Ziegelhaufen verkehrt „NSWO“ aufgestellt. Damit wenigstens im R.A.M.M./ZATA alle wußten, was sie wirklich zu denken hatten.

Frau schwebte in Plastik über Lichtstrahl zu Lungenfischmann: „dich laß ich austrocknen wo ist das wasser. die erde über mir das helle haus ich kenne dich... wir schlugen unsere schlachten aus ratlosigkeit.“ Aus Ratlosigkeit, wie die großen Themen in den Griff zu kriegen seien, wurden die Schlachten in der Sprache geschlagen. Elypsen, Fetzen und Mikrophoneinsätze: „öffentliche Hinrichtungen“, „Sumpf der Verwesung“, „Lärm des Schweigens“, „Dimensionen“. Viel lauter Schrei - ruft natürlich alles „Schmerz“ hervor. Und „Qual. Qual“.

Eloquente Verkürzungen im zweiten Teil: „Ponto, Schleyer, dahingeRAFft“. Nein, es ging nicht um Stammheim, nicht direkt. Aber so ähnlich. Oder unter anderem und inbegriffen auf jeden Fall Logistik. Führungskräfte. Anonyme Folterzentren. Kritik an der Warengesellschaft im Zeitalter der Medienwirklichkeit, am System. Blutige Pfade aus Zeitungspapier, Dias und Transparente mit Überschriften und die ewige Wiederkehr des Immergleichen in den Monologen. Das mußte reichen.

Alle wußten ja, was gemeint war, auch wenn niemand es ausgesprochen hatte. Zu hingeworfenen Stichworten mit dem Kopf im verschwommenen Konsens zu nicken, blieb genügend Zeit, wenn wieder einmal ein Mann gleich Mensch die Bühne entlang laufen mußte. Denn die war auch im zweiten Teil noch viel zu groß und riesenschwarz.

Claudia Wahjudi

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