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„Witt macht's möglich!“

■ Auszüge aus der Rede des Filmministers Günter Witt auf dem 11. Plenum des ZK der SED am 18.12.1965 inklusive der Zwischenrufe von Kurt Hager, Walter Ulbricht, Herrmann Axen u.a.

Anfang der 60er Jahre kamen in der DDR die Reformkräfte, auch innerhalb der SED, zum Zug. Das lag an Chruschtschow, am Tauwetter in der Sowjetunion und auch am Bau der Mauer. Die Gefahr von außen schien gebannt, davon erhofften sich viele eine Liberalisierung innerhalb des Landes. Im Oktober 1964 wurde Chruschtschow entmachtet, Ende 1965 kam es wegen eines neuen Handelsabkommens zu Verhandlungsschwierigkeiten mit der Sowjetunion. Planungsminister Erich Apelt beging am 3. Dezember Selbstmord. Um von den außenpolitischen und ökonomischen Problemen abzulenken (stehende Redewendung damals: „Es gibt wenig Kartoffeln, uns stehen große Kunstdiskussionen bevor“), inszenierte die Parteiführung vom 15. bis 18. Dezember eine ideologische Abrechnung mit den Intellektuellen des Landes: das 11. Plenum des ZK der SED. Die Vorwürfe lauteten: Nonkonformismus, Sexualismus, Revisionismus, bürgerliche Dekadenz und Formalismus. Die Medienkampagnen gingen gegen Wolf Biermann, Günter Kunert, Volker Braun, Peter Hacks und viele andere; das 11. Plenum knöpfte sich vor allem die DEFA vor. Filmminister Günter Witt, der die neuen konfliktfreudigen Filme zu verantworten hatte und sie auch zunächst verteidigte, übte zwar Selbstkritik, aber er mußte trotzdem gehen. Fast die gesamte DEFA-Jahresproduktion wanderte in den Tresor, viele Filmemacher bekamen Berufsverbot.

chp

Günter Witt: ...in dieser ganzen Periode der Diskussion über den Film Das Kaninchen bin ich dringen andere verschiedenartige Einflüsse in mein Denken ein, die allmählich eine Verschiebung meines Standpunktes bewirken, so daß er immer weniger der Standpunkt unserer sozialistischen Kulturpolitik und immer mehr eine Angleichung an die Position der Schöpfer des Films wurde.

Kurt Hager: Genosse Witt, du wußtest doch, daß das Buch von Bieler Das Kaninchen bin ich nicht zugelassen wurde.

Walter Ulbricht: Vom Ministerium wurde das Buch nicht zugelassen.

Kurt Hager: Das Buch wurde von der Hauptverwaltung Verlage und Buchwesen des Ministeriums nicht zugelassen.

Alexander Abusch: Das war praktisch ein verbotenes Buch.

Kurt Hager: Uns ist immer noch unverständlich, weshalb dann trotzdem der Film, der sich auf dieses Buch stützt, gedreht worden ist. Das ist mir immer noch nicht klar.

Günter Witt: Es gab über diese Frage eine Diskussion. Das hängt mit dieser Fehleinschätzung zusammen, von der ich eben gesprochen habe. Es handelt sich nicht um ein Buch, sondern um ein Manuskript, das von der Hauptverwaltung Verlage abgelehnt worden war. Ich las das Drehbuch und dazu die politische Konzeption. Es gab Aussprachen. Ich glaubte, richtig zu handeln und von diesem falschen und nicht möglichen Manuskript für den Roman schrittweise zu einem möglichen Film zu gelangen. Das war eine Fehleinschätzung. Das war fehlerhaft, weil eine Diskussion über einen Weg der schrittweisen Verbesserung geführt wurde, vielleicht auch deshalb, um Bieler zu gewinnen. Solche Gedankengänge waren in meinem Kopf. Ich sehe heute, daß das nicht gelungen ist.

Ich möchte nun über weitere Einflüsse und gedankliche Vorgänge sprechen. Die richtige Auffassung von dem gewachsenen politischen Reifegrad der Bevölkerung, so unser Publikum, führte zu dem Fehlschluß, man könne deshalb dem Publikum das Denken über die Lösung der im Film gezeigten Widersprüche und Konflikte überlassen. Die Folge dieser Auffassung ist die Aufgabe der erzieherischen Funktion des Films, der Verzicht auf das Hineintragen der sozialistischen Ideen in die Massen durch die Kunst. Damit wird die Entwicklung der Spontaneität überlassen und das Kernstück des sozialistischen Realismus, die Parteilichkeit, nicht beachtet. Im Grunde genommen erfolgt ein Rückgang auf die Positionen des kritischen Realismus. Daraus ergibt sich, daß in dieser Diskussion nicht die Beschlüsse des VI. Parteitages und der 2. Bitterfelder Konferenz als Wertungsmaßstab angelegt wurden, sondern daß ich in diesem Falle der subjektiven Deutung dieser Beschlüsse durch die Schöpfer nachgab.

Die richtige Auffassung vom Vertrauen zu den Künstlern, von ihrer gewachsenen politischen Bewußtheit, die durch viele erfolgreiche Filme der DEFA gerechtfertigt ist, schläferte die notwendige politische Aufmerksamkeit ein und führte in gewissem Grade zum Selbstlauf. Das Vertrauen zu den Künstlern wurde deshalb nicht mit der notwendigen politischen Führung verbunden. Deshalb blieb die notwendige gründliche analytische Untersuchung der politischen Problematik und die sich daraus ergebende konsequente Klärung hinter den Erfordernissen zurück.

Wir haben im August eine Analyse über das Gegenwartsschaffen ausgearbeitet, um an diese Problematik heranzukommen. Aber wir hatten auch dabei den falschen einseitigen Ausgangspunkt, es handele sich um Entwicklungsschwierigkeiten bei der Meisterung der Gegenwartsthematik. Daraus resultierte dann die Schlußfolgerung, es müßte unter den Filmschaffenden diskutiert werden. Aber entscheidende Eingriffe und Maßnahmen waren nicht die Schlußfolgerung. Die Dinge haben eine innere Logik.

Dann ging es weiter. Es entwickelte sich ein Zustand des öffentlichen Drucks, auch aus den Arbeitsgruppen heraus, über Kanäle der verschiedensten Art, in der Presse und so weiter, um die öffentliche Meinung für ein noch nicht fertiges und noch nicht bestätigtes Objekt vorzubereiten und auch dafür einzunehmen.

Albert Norden: Aber das habt ihr doch in die Presse lanciert!

Günter Witt: Ich habe mich dazu schon einmal äußern können: Es ist nicht von uns aus lanciert worden.

Kuba: Man sagte aber in Babelsberg: „Witt macht's möglich.“

Günter Witt: Genosse Kuba, ich bin dabei zu schildern, warum es zu einer solchen Auffassung kommen konnte. Ich habe bereits gesagt: Bei Aufnahme der Produktion und im Verlauf der nächsten Etappen ergab sich die Meinung, es sei möglich. Als uns dann einige Dinge auffielen und wir eine Diskussion entwickeln wollten, stellte sich heraus, daß eine offene, fruchtbare Diskussion nicht zu erwarten war, weil fast alle erklärten, sie würden nur dann kritisch diskutieren, wenn der Film zugelassen sei. Daraus zog ich die nächste falsche Schlußfolgerung, daß es wahrscheinlich besser sei, die Front der Vertreter dieser Auffassung dadurch aufzulösen, daß die staatliche Zulassung erteilt und dann die Auseinandersetzung begonnen wird. Wir haben das auch gemacht.

Wir begannen vor der Tagung des Politbüros mit einer Beratung des Wissenschaftlichen Beirates und warfen die Probleme dieses Films und weitere Tendenzen im Filschaffen kritisch auf. Aber der Weg war fehlerhaft. Ich glaubte, auf diese Weise die Kräfte innerhalb des Filmwesens formieren zu können, die Auseinandersetzungen an einem fertigen Objekt besser als an theoretischen Thesen führen zu können, um damit die Position der sozialistischen Kulturentwicklung auch von dem Standpunkt aus, was nicht geht, wo die Grenzen sind, klären zu können. Heute muß ich feststellen, daß damit eine Entstellung unserer Politik und eine entstellte Darstellung unserer Wirklichkeit von mir zugelassen wurde und daß durch die dann erfolgende prinzipielle Kritik der Parteiführung zunächst die Möglichkeit einer Frontbildung gegen die Partei unter den Kulturschaffenden zugelassen wurde.

Hermann Axen: Bist du dir im klaren, daß die sogenannte Theorie, „die Diskussion am fertigen Objekt zu führen“, schon grundfalsch ist?

Günter Witt: Genosse Axen, ich spreche doch darüber, daß der Fehler bei A anfängt. Daß nicht am Drehbuch, an all dem, was vorlag, bevor die Produktion losging, die prinzipielle kritische Diskussion bereits begann, zeitigte diese Folgen.

Walter Ulbricht: Darum ging es nicht. Im Politbüro hast du doch gesagt, daß du der Meinung bist, daß man diese Filme zeigen muß, damit sie zur allgemeinen Diskussion gestellt werden und damit sozusagen eine freie Meinungsäußerung möglich ist. Das heißt: Erziehung der Jugend mit diesen Filmen! Um diese einzige Frage geht es. Sind wir der Meinung, daß ein paar Künstler oder Schriftsteller schreiben können, was sie wollen, und sie bestimmen die ganze Entwicklung der Gesellschaft? Das ist die Frage, um die es hier geht, und die hast du mit Ja beantwortet und das Politbüro mit Nein. Das ist der Unterschied zwischen uns. Ist es erlaubt, überzugehen zur allgemeinen anarchistischen Methode und zur breiten Propagierung des Nihilismus? Ist das die Linie, oder ist sie das nicht? So einfach stand die Frage, die du dargelegt hast.

Günter Witt: Ich habe im Politbüro keine richtige Auffassung vertreten, das ist mir durch die Diskussion im Politbüro und durch die Auseinandersetzungen danach in unserer Grundorganisation im Ministerium für Kultur klargeworden. Aber meine Auffassung war, daß wir über diesen Film, um den es primär geht, natürlich nicht nur unter den Filmschaffenden diskutieren, damit die Position klar ausgearbeitet wird: Was ist wirklich Gestaltung der Gegenwart in unserem Sinne und was nicht?

Walter Ulbricht: Ihr habt den Film freigegeben für die Kinos. In den Kinos wollt ihr mit den Filmschaffenden die Diskussion führen? Was ist denn los?

Hermann Axen: Erst das Volk vergiften und dann das Gift wieder 'rausziehen?

Alexander Abusch: Im Politbüro war die Rede von der Freigabe des Films und öffentliche Diskussion nachher, nachdem er verbreitet ist.

Kurt Hager: Du hast im Politbüro formuliert, daß der Film bis an die Grenze des Möglichen geht.

Günter Witt: Ich vertrat den Standpunkt, das ginge gerade noch, es muß aber eine kritische Diskussion entwickelt werden. Ich kann hier nur erklären, daß durch die verschiedensten Dinge, wie sie sich entwickelt haben, die ich versuchte darzustellen, eine falsche Einstellung zu diesem Film und zu den ihm innenwohnenden Tendenzen sich von Anfang bis Ende entwickelt hat und daß ich jetzt versuche, mir diese Kritik des Politbüros zu eigen zu machen und richtige Schlußfolgerungen daraus zu ziehen...

Der in sich gekürzte Auszug war abgedruckt im 'Neuen Deutschland‘, 19.12.1965, S.11.

Der Text ist zusammen mit anderen Dokumenten und den Szenarien der beiden Tresorfilme „Das Kaninchen bin ich“ (Bieler/Maetzig) und „Denk bloß nicht, ich heule“ (von Manfred Freitag und Joachim Nestler) demnächst nachzulesen in: Prädikat: Besonders schädlich, hg., mit einem Vorwort und einem dokumentierten Anhang versehen, von Christiane Mückenberger, ca. 300S., 18Abb., Henschelverlag, Berlin DDR

Mit freundlicher Genehmigung des Henschelverlags

Die Zwischenrufer und ihre Funktionen 1965:

Alexander Abusch, Minister für Kultur

Herrmann Axen, Kandidat des Politbüros, Chefredakteur des 'Neuen Deutschland‘

Kurt Hager, Mitglied des Politbüros, Sekretär für Wissenschaft und Kultur des ZK

Kuba, alias Kurt Barthel, ZK-Mitglied, stalinistischer Staatsdichter

Albert Norden, Mitglied des Politbüros, Leiter der Abteilung für Agitation und Propaganda

Walter Ulbricht, Generalsekretär des ZK der SED

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