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Modrows Kapitulation

DDR-Ministerpräsident für Deutschland einig Vaterland  ■ K O M M E N T A R E

Die Geschichte der sogenannten Revolution im anderen Deutschland endet wie sie angefangen hat: mit täglich anwachsenden Ausreisezahlen. So wie die überfüllten Botschaften in Budapest, Prag und Warschau die Abbrucharbeiten am SED-Staat einleiteten, hat der anhaltende Exodus von der DDR in die BRD der Regierung Modrow und wohl auch Hans Modrow als Person letztlich den Rest gegeben. „Deutschland soll wieder einig Vaterland aller Bürger deutscher Nation werden“ - allein die Wortwahl macht deutlich, wie sehr Modrow am Ende ist. Ebenso am Ende ist die DDR und alle, die im letzten Herbst angetreten waren, eine neue, nicht fremdbestimmte Identität zu entwickeln, Formen politischer Partizipation suchten, die den bis dahin herschenden Kommandosozialismus nicht umstandslos durch die bundesdeutsche Parteienoligarchie ersetzen sollten und letztlich auch nach Wegen suchten, dem ökologischen Deasaster des Landes mit Ansätzen einer Energieversorgung zu begegnen, die hierzulande die Energie- und Kapitalmafia von jeher verhindert hat.

Alles von Anbeginn an sowieso nur Schall und Rauch? Blütenträume von Politamateuren die von Ökonomie keine Ahnung haben? Vielleicht. Aber Geschichte wird gemacht und soziale Bewegung eine Entwicklung, die sich nicht nur dumpf hinter dem Rücken der Akteure vollzieht, hatte immer ihre Träumer zur Voraussetzung. Was immer von sozialistischer Theorie und/oder marxistischer Analyse im geschichtlichen Rückblick übrig bleiben wird, ohne die „konkrete Utopie“, die Tagträume Ernst Blochs über ein besseres Leben ist die Entwicklung zu einer humanen, solidarischen und auch zivilen Gesellschaft nicht denkbar.

Dabei kommt die jetzige Kapitulation nicht überraschend. Die kurze Phase des aufrechten Ganges, der Hoffnungsschimmer der Utopie in der damaligen Oppositionsbewegung, blieb - so wissen wir heute - letztlich auch im kurzen Herbst der Anarchie auf eine Minderheit beschränkt. Bevor noch aus der Negation der herrschenden Verhältnisse ein tragfähiges Konzept zur Basis einer neuen Identität werden konnte, hatten die Slogans „Keine Experimente“ und „Wir wollen das Modell Deutschland“ bereits gesiegt. Die Angst vor dem sozialen Absturz ins Bodenlose war allemal stärker als die Lust, sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Vielleicht hat eine realistische Chance dazu tatsächlich nie existiert. Vielleicht ist die Ökonomie der DDR ja noch weniger überlebensfähig als die Polens oder Ungarns. Das aber wollte „das Volk“ letztlich gar nicht wissen.

Revolutionen in Deutschland haben eben ihre eigenen Gesetze. Die bürgerliche Revolution von 1848 endete mit dem Übernahmeangebot an den König von Preußen, die Revolution 1918 mit dem Hilferuf Eberts an die kaiserliche Generalität und die Revolution 1989 mit dem Einzug des Schwarzen Riesen.

Was jetzt noch fehlt sind die Modalitäten der Übergabe im engeren Sinne. Modrow drängt in seiner Erklärung auf die schrittweise Loslösung aus den jeweiligen Bündnisverpflichtungen damit das neuvereinte Deutschland letztlich den Status militärischer Neutralität erlangen wird. Ein frommer Wunsch, den ihm offenbar Gorbatschow bei seinem Moskau-Besuch mit auf den Weg gegeben hat. Ganz abgesehen davon, daß ein neutrales Deutschland für Europa wohl eher ein Risikofaktor wäre - die Politprofis in Bonn haben dieser Vorstellung längst eine Absage erteilt. Es bleibt allenfalls ein kontrollierter Abzug alliierter Truppen aus beiden Teilen Deutschlands mit dem Ziel, militärische Sicherheit in Europa neu zu definieren.

Für die bundesrepublikanische Linke ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich von der BRD als politischem Koordinatensystem zu verabschieden. Die Alternative zum nationalen Pathos kann zuallererst nur die konkrete Solidarität im politischen Alltag sein. Der Atomschrott in Greifswald ist unser aller Problem, ein entmilitarisiertes Europa ist unser Anliegen in Ost und West. Soll die Zukunft nicht in einem nationalstaatlichen Rückschritt liegen, dann ist sie nur in einem europäischen Haus zu suchen.

Jürgen Gottschlich

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