: Befreiungsschlag
■ Bushs Abrüstungsinitiative
Der psychologisch richtige Zeitpunkt ist der halbe Erfolg im (Medien-)Geschäft um die Rückgewinnung der Initiative vom trotz aller Schwierigkeiten immer noch - viel populäreren anderen Großmachtchef und die Zustimmung uneiniger Bündnispartner. Mit seinem Vorschlag, US-amerikanische und sowjetische Truppen in Zentraleuropa stärker zu reduzieren als bislang von der Nato bei den Wiener Verhandlungen offiziell unterbreitet, hat Bush vor dem Hintergrund stetig schwindenden Einflusses der USA in Westeuropa noch einmal eine Führungsrolle zu demonstrieren versucht. Noch vor 15 Monaten hat die Bundesregierung gegen Washingtoner Planspiele zu Reduzierungen der US-GIs in der jetzt beabsichtigen Größenordnung von etwa 80.000 innerhalb der Nato ein Veto eingelegt. Jetzt gilt ein solches Szenario auch Konservativen in der BRD nicht mehr als bedrohlich und hat damit auch als Instrument für Washingtoner Drohgebärden endgültig ausgedient: Fast einhellig wurde Bushs Vorstoß in Bonn begrüßt. Das allein zeigt, wie sehr sich die politischen Parameter seit der (ost-)deutschen „Novemberrevolution“ verschoben haben. Die Nato wird sich den Vorschlag in Kürze offiziell zu eigen machen und ihn in Wien auf den Tisch legen. Damit dürfte es zumindest vorübergehend gelingen, einen Eindruck wegzuwischen, der sich in den letzten Wochen in der (veröffentlichten) öffentlichen Meinung immer stärker festsetzte und westliche Politiker zunehmend irritierte: Die Nato-Staaten laufen den Entwicklungen in Osteuropa hinterher, ja drohen mit ihrer Unfähigkeit, in Wien mit gemeinsamen neuen Positionen konstruktiv darauf zu reagieren, sogar die - eigentlich ungeliebte - militärische Präsenz der UdSSR auf dem Territorium sich loslösender Bündnispartner festzuschreiben.
Bushs Befreiungsschlag ähnelt seiner „Initiative“ vom Mai 89 zur Einbeziehung von Personal und Flugzeugen in die Wiener Verhandlungen, mit der er im Bündnisstreit um atomare Kurzstreckenraketen für Entschärfung und Zeitgewinn sorgte. Möglicherweise wird die UdSSR unter Wahrung ihrer prinzipiellen Forderung auf Einbeziehung der Truppen aller Staaten in Europa in ein zweites Wiener Abkommen auf den Vorschlag eingehen. Erlaubt er Gorbatschow doch, den von immer mehr bisherigen Bündnispartnern geforderten Abzug sowjetischer Truppen zumindest teilweise als Maßnahme im Rahmen eines Wiener Verhandlungspaketes auszugeben und damit den Anschein zu wahren, Moskau habe die Dinge in der ehemaligen Warschauer Vertragsorganisation weiterhin unter Kontrolle. Doch löst Bushs Vorschlag das schon für die bisherige Wiener Blockade in der Truppenfrage zentral verantwortliche Problem nicht, das in den nächsten Monaten noch mehr an Bedeutung gewinnen wird: die künftige militärische Stärke einer wirtschaftlich und politisch ohnehin mächtigen 80-Millionen-Mittelmacht im Herzen Europas. Schon in der Vergangenheit galt die Hauptsorge Moskaus weit weniger den US-GIs in der BRD oder den Stationierungstruppen anderer Länder als der mit Abstand kampfstärksten und am modernsten ausgerüsteten westlichen Armee, der Bundeswehr. Die bisherige Weigerung der Bonner Regierung, im Nato-Bündnis über eine signifikante Reduzierung der Bundeswehr zu reden, und ihre öffentliche Festlegung auf einen Umfang von 400.000 Soldaten bis mindestes 1995 bereiten auch Kopfschmerzen bei westlichen Nachbarn, zumal es in der BRD wenig ökonomischen Druck zur Reduzierung gibt.
Solange es bei dieser Bonner Haltung bleibt, werden Paris und London nicht bereit sein, ihre Truppen zu Hause noch die in der BRD stationierten in eine zweite Wiener Verhandlungsrunde einzubringen. Das wiederum ist für Moskau, das schon jetzt auf die Einbeziehung aller fremdstationierten Truppen drängt, nicht akzeptabel. Die Planspiele Genschers für ein künftiges Gesamtdeutschland, dessen Ex-BRD-Teil in der militärischen Integration der Nato verbleibt, mag Washington vorübergehend beruhigen, sorgt jedoch in Moskau, Prag, Budapest oder Warschau eher für Irritationen. Bislang blockieren sich die Sorgen unserer westlichen wie östlichen Nachbarn noch gegenseitig, anstatt sich zu einer gemeinsamen Haltung zu bündeln. Und auch in der BRD ist der innenpolitische Druck hin zu einer Zielgröße, die schon einmal am Ende einer von Deutschland ausgelösten Periode des Unfriedens in Europa stand, viel zu gering: In Versailles wurde die Armee der Weimarer Republik auf 100.000 Mann begrenzt. Diese auch von vielen Militärs in der Bundeswehr für ausreichend gehaltene Größe wäre ein notwendiger und glaubwürdiger Zwischenschritt hin zur völligen Demilitarisierung Deutschlands und Europas.
Andreas Zumach
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