Übles Gebräu aus Doublespeak, Heuchelei und hohlen Phrasen

George Bushs Botschaft zur Lage der Nation / Alle schauen hin, keine/r hört mehr zu, aber jede/r will an ihn glauben / Wann geht das US-Volk auf die Straße?  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Da stand er nun vor der amerikanischen Nation und sollte ihr zeigen, wo sie denn lag. Der Präsident der Vereinigten Staaten sprach zu den Bush-Männern undBush-Frauen Nordamerikas, die ihm in diesen Tagen die höchsten Zustimmungsraten eines US-Präsidenten seit Menschengedenken bescheren. George Bush, vor beiden Häusern des Kongresses und vor der Kamera: ein tribalistisches Ritual im Medienzeitalter. Alle schauen hin, keiner hört mehr zu. Gab's unter Ronald Reagan bei solchen Anlässen noch einen sehenswerten Showeffekt, so stürzte das alljährliche Ereignis mit George Bush gleich in jene Mediokrität ab, welche die bisherige Politik dieser Administration so prägte. Am Anfang der Rede gleich eine Unverschämtheit oder ist es nur das neue Demokratieverständnis made in the USA? Bush zitierte den Einfall der US-Truppen als erstes Beispiel der „Revolutionen von 1989“. War Noriega Honecker? Statt heftiger Proteste erntet die gezielte Begriffsverwirrung des Redners jedoch eine „standing ovation“. Alle Parlamentarier sind ebenfalls auf dem Bush -Trip, der derzeit stärksten Politdroge Amerikas. Kaum einer hält George Bush für fähig, die einzelnen Probleme dieses Landes zu lösen - oder auch nur wirklich anzugehen, doch alle wollen sie an ihn glauben.

Bush als Lehrer, hier spricht der „Bildungspräsident“. Bis zum Jahr 2000 sollen die Neueingeschulten „lernfähig“ gemacht werden, was Schlimmes über ihren jetzigen Zustand ahnen läßt. Jeder Amerikaner, so die Bush-Vision, müsse zum ausgebildeten und „lesefähigen“ Bürger erzogen werden. Alphabetentum als stolz deklariertes Lernziel einer führenden Industrienation für die Jahrtausendwende. Bush nennt dies „Excellence in Education“, wo doch jeder weiß, daß die für 1991 zusätzlich zur Verfügung gestellten zwei Milliarden Dollar an der Bildungsmisere kaum etwas ändern dürften. Bush, der Buchhalter. Seine Administration werde die Staatsausgaben unter Kontrolle bringen und bis 1994 das Haushaltsdefizit beseitigen; wo doch nicht mal ein High -School-Abschluß nötig ist, um zu erkennen, wie getürkt die Haushaltszahlen dieser Administration sind. Bush, der Arbeiterfreund. In einer rhetorischen Meisterleistung gelingt es dem Präsidenten, dem amerikanischen Arbeiter zu danken - und noch im gleichen Satz eine Senkung der Kapitalertragssteuer anzukündigen, die zu 80% den Superreichen zugute kommen wird. Bush, der Großvater. Beginnend mit seinem zwölften Enkelkind holt er zum abschließenden emotionalen Rundumschlag aus. Plötzlich wimmelt es nur so von „kids“, hilfsbereiten Nachbarn, Familien, in denen nicht abgetrieben wird, von Freundschaft, Glaube, Gott und Hoffnung, welche die Zukunft der „Idee Amerika“ bestimmen werden. Ein solche Mischung aus Doublespeak, Heuchelei und leeren Phrasen, wie Präsident Bush sie am Mittwoch abend seinem Volk zumutete, hätte in jedem osteuropäischen Land die Leute wieder auf die Straße gebracht. Hierzulande müßte schon das Football-Endspiel der „Superbowl“ abgesagt werden, damit sich das Volk nochmal rührt.