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Magnetotherapie

■ Jürgen Flimm inszeniert, Harnoncourt dirigiert Mozarts „Cosi fan tutte“

Frieder Reininghaus

Mit atemberaubender Präzision hob das Koninklijke Concertgebouworkest zu spielen an. Kaum mußte Nicolaus Harnoncourt die beredten Hände bewegen, um ihm jenes Brio zu entlocken, durch welches sich elaboriertes und beseeltes Mozart-Spiel auszeichnet. Und als dann nach dreieinhalb Stunden der Vorhang fiel, da sprangen die Amsterdamer auf und bereiteten dem Ensemble, den Musikern und dem Regieteam die Ovation stehend. Von der verhaltenen Nachdenklichkeit der Fiordiligi, die Charlotte Margiono auskostete, bis zur stimmlichen Keckheit der Anna Steiger, die eine feurig -sizilianische Dienerin Despina abgab, vom akustischen Liebreiz der Dorabella (Iris Vermillion) bis zur souveränen Intriganz des Don Alfonso (Victor Braun) präsentierte sich eine homogene Ensemble-Leistung, bei der jede und jeder im beziehungsreichen Sextett technisch ganz auf der Höhe war und das Zusammenwirken fulminant. Cosi fan tutte ist eine Ensemble-Oper par excellence; die Dramaturgie erforderte die Reduktion der Solo-Arien. Und gerade aus der fortwährenden Nötigung zum Wechsel- und Simultan-Gesang entsprang eine musikhistorisch vorwärtsweisende Tendenz dieses Werkes.

Die Amsterdamer Premiere wurde auf den 200.Jahrestag der Uraufführung im Wiener National-Hoftheater gelegt. Cosi, in Gegenwart des Kaisers Joseph II. gezeigt, machte Furore; schickte sich an, ein durchschlagender Erfolg zu werden. Da starb der Monarch. Die verordnete Trauer unterbrach die Aufführungsserie - und unterm Nachfolger, der das geistige und kulturelle Leben in ganz andere, keineswegs mehr so stürmisch aufgeklärte Bahnen gelenkt wissen wollte, war an eine Wiederaufnahme des frivolen Stückes nicht mehr zu denken. In Deutschland rief die Dichtung Lorenzo da Pontes heftige Reaktionen hervor. „Gegenwärtiges Singspiel ist das albernste Zeug von der Welt, und seine Vorstellung wird nur in Rücksicht der vortrefflichen Komposition besucht“, urteilte 1792 das 'Journal des Luxus und der Moden‘ in Berlin. „Es ist wahrlich zu bedauern, daß unsere besten Komponisten ihre Talente und ihre Zeit meist an jämmerliche Sujets verschwenden.“

Das „jämmerliche Sujet“ soll auf eine wirkliche Begebenheit in der Wiener Aristokratie zurückgehen: Eine Wette zwischen zwei jungen Offizieren, die sich im Kaffeehaus mit der Treue ihrer Bräute brüsteten, und einem alten Zyniker. Der machte sich anheischig, die Untreue der angebetenen Wesen innerhalb von 24 Stunden unter Beweis zu stellen, wenn die Maulhelden nur täten, was er verlangte (und 100 Dukaten aufs Spiel setzten). Der Philosoph Don Alfonso gewinnt die Wette: Seine Intrigen verfangen. Die Schule der Liebenden kommt zum Vordiplom. Von dem poetisch kurzen, musikalisch reich und mitunter langatmig ausgeschmückten Weg dorthin wurde die Offenherzigkeit der Bürgerstöchter mit derselben Ironie bedacht wie die Borniertheit der feschen Offiziersfreunde, ihr Kriegsspiel wie der Glaube an ihre Einmaligkeit.

Kaum war diese Oper auf dem Markt, da entdeckten einige Herren, daß sie „frauenfeindlich“ sei: „Ein elendes Ding, das alle Weiber herabsetzt“, wie einer schrieb. Ein anderer nannte diese formvollendete Buffo-Oper „eine Verhöhnung nicht nur der Frauenliebe, sondern der Liebesleidenschaft überhaupt“. Daher hielt man es für angezeigt, das Werk fortgesetzt zu bearbeiten und zu entschärfen. Es wurde als verfängliche Wette herausgebracht oder - durch allerhand Spuk angereichert - zur Zauberprobe verbogen. Man hat Cosi fan tutte - „So machen's alle“ - als Die Mädchen von Flandern gespielt oder der Mozartschen Musik gar Texte nach Shakespeare oder Calderon unterlegt. Die große Buffonerie aber, die wundersam schillernde Parodistik, die Seifenblasen des echten und geheuchelten Gefühls, fand die Nachwelt lange eines (nach dem frühen Tod verklärten) Mozarts nicht für würdig.

Das hat sich seit einiger Zeit geändert. Diese Oper hat in der Gunst der Theatermacher und des Publikums erheblich aufgeholt (und inzwischen wohl sogar Don Giovanni überrundet). Luc Bondys Brüsseler Inszenierung bringt auch nach Jahren Kenner und Liebhaber ins Schwärmen (und im Theatre de la Monnaie ist sie jetzt auch wieder zu genießen). Im vergangenen März erfreuten und erzürnten der Misch-Konzern B.A.T., Johannes Schaaf und Hans Schavernoch die Londoner durch ihre Cosi-Aufbereitung. Und bevor Jürgen Gisch - vermutlich ausgenüchtert und introvertiert diese Oper in Glasgow zeigt, hat Jürgen Flimm das Stück den Amsterdamern vorgezaubert.

Als das hartnäckige Anrennen der Streicher und Bläser am Schluß des beziehungsreichen Cosi-Vorspiels kurz innehält und der Vorhang weicht, zeigt sich kein Cafe und auch kein Offizierscasino (wie bei Schaaf/Schavernoch), sondern ein spätbarockes Prachtbild von Neapel. Damals und dort also soll die Geschichte angesiedelt sein. In den Wiesen des Vordergrunds sitzen die Freunde Guglielmo und Ferrando mit Alfonso beim Picknick, alle drei in angemessener Rokoko-Kleidung. Aber stumm sitzt noch ein nacktes Modell dabei - wie in Edouard Manets berühmtem Bild: Die Wette erfolgt in Amsterdam beim Sekt-Frühstück im Grünen.

Die Welt der Schwestern Fiordiligi und Dorabella erweist sich als ein Traum von betörender Schönheit: Rolf und Marianne Glittenberg haben eine Apsis mit großen Öffnungen, mit Ausblick auf Wald und Wolken entworfen. Darin ein verwunschenes, von Zimmerpflanzen umwuchertes Barockhäuschen - ein kunstvolles Kleinbauwerk wie eine Erbbegräbnisstätte oder ein duodezfürstliches Zollhaus. Dahinter ein See mit Kahn, davor eine Terrasse mit labyrinthischem Fußbodenmuster. Über allem ein großes rundes Loch in der weißen Decke, an der die Reflexe der Wasserwellen spielen; ein Loch wie in Barockkirchen fürs Oberlicht. Durch dieses senkt sich ein Ballon herab, um die zum Schein in den Krieg ziehenden jugendlichen Liebhaber zu entführen. Das Kriegsschiff wird zum Luftschiff - und damit spielt Jürgen Flimm auf Mozarts Begeisterung (und die seiner Zeit) für den Flugkörper der Brüder Montgolfier an.

Auch die Parodie der Magnetotherapie des Naturforschers, Arztes und Scharlatans Franz Anton Mesmer gelingt. Der Regisseur läßt nicht nur die Herren des Opernchors als Pulcinelle, als blaue Gnome herumstreichen und neugierig die Entwicklung der Intrige beobachten, sondern auch neun dieser buckligen Hanswurste als hilfreiche Geister an der Heilung der beiden „Albaner“ mitwirken, die sich, kurz nach dem Abflug der Offiziere, ins Haus der Schwestern Einlaß verschafft und sofort verliebt haben und aus liebestaktischen Gründen eine Vergiftung simulieren. Despina, dem Alfonso stets zu Diensten, erscheint als alte Krähe, als Kurpfuscher; läßt von den Heinzelmännchen die „Patienten“ auf den Kopf stellen und treibt ihnen das „Gift“ mit einer überdimensionalen Stimmgabel, übernatürlichem Magnetismus und kräftigem Funkenschlag aus. Ponte und Mozart schienen der Magnetotherapie nicht sonderlich zu vertrauen und zeigten, daß nur die Erotik magnetische Anziehungskraft besitzt.

Jürgen Flimm also folgt dem Text minutiös. Überhaupt sorgt er für sehr genaue Personenführung, die weithin über das leidige Sprachproblem weghilft (denn das Opernitalenisch ist nur sehr bruchstückhaft zu verstehen). So manches derbe, komödiantische Detail verrät, daß der Intendant des Hamburger Thalia-Theaters im Herzen ein Kölscher Jung geblieben ist. Die Leute haben bei ihm ihren Spaß. Flimm ist alles andere als ein Spielverderber: ein Zeremonienmeister für die wohlverträgliche Leichtigkeit des Seins. In der kaum gebrochenen Schönheit des Glittenbergschen Bühnenbilds wird eine genau choreographierte Rokoko-Welt rekonstruiert: die Voraussetzung dieses Stückes - andere Zeiten haben andere erotische Spielregeln und Rituale. Dennoch löst sich die Produktion von mechanischem Historismus durch die unauffällig eingeschmuggelten Bildmonumente des Impressionismus und der Moderne. Nur durch solche Raffinesse kann sich heute eine Inszenierung bei einem der Hauptwerke des Opernrepertoires behaupten. Gerade zu Mozart ist dem Musiktheater in den letzten Jahren Enormes eingefallen. Zum optischen Vergnügen kommen in Amsterdam die großen Stunden der Musik. Harnoncourt hat sie, wieder einmal, möglich werden lassen.

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