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Berlin am Meer

■ Zur Werner-Heldt-Retrospektive in Nürnberg

In den vierziger Jahren schuf Werner Heldt eine Serie von Bildern, die er mit Berlin am Meer betitelte. Man brauche nur die Pflastersteine aufzubrechen, um darunter den Sand zu entdecken, der einmal Meeresboden war. Den Maler Werner Heldt hat diese Vorstellung gefesselt. Tagträumerisch verwandelte er die zerstörte Stadt mit ihren aufgetürmten Schuttbergen zu ansteigenden Ufern, an denen die übriggebliebenen Häuserfassaden wie Felsen aufragen. Der Bug eines Kahns schiebt sich ins Bild, dahinter das endlos weite Meer. Die tagträumerische Vision dieser Bilder besteht im Freilegen von Erinnerungsschichten, besteht darin, früheres Leben aus dem Chaos zu restituieren, und zwar als Sieg der Natur. Schon in einem Gedicht aus dem Jahre 1932 (Meine Heimat) heißt es über die blinden Häuser der Stadt: „Wie tote Augen träumen sie vom fernen Meer.“

Von ausgesprochen surrealer Wirkung ist dabei vor allem ein Werk aus der Serie Berlin am Meer (um 1946 entstanden): Es zeigt eine Allee, Häuserreihen links und rechts, dazwischen Bäume, Rasen und ein Denkmal. Der Asphalt hat die Farbe von Sand. Und aus diesem Sand ragt ein Boot. Vor den wie zu einem Paravent gefalteten Brandmauern ist diese Szene von geradezu theatralischer Wirkung. Man ist an de Chiricos inszenierte Stadtansichten der Pittura metafisica erinnert.

Beherrschendes Thema in Heldts künstlerischem Schaffen ist die Stadt. Die Stile indes änderten sich. Seine Werke sind anfangs geprägt von genrehaft verdichteter Atmosphäre, dann von starker expressiver Farbwirkung; in späteren Jahren gewinnen sie an Abstraktion und erinnern darin zuweilen an George Bracques oder Juan Gris, wenn er Häuserfassaden in Strukturen und Flächen zerlegt und als „Komposition“ neu zusammenfügt. Sind es in den Bildern Berlin am Meer Tagträume, so entfaltet sich in anderen Zeichnungen die Bildphantasie von Nachtträumen. Gesichter überlagern, vermischen sich mit den Stadtansichten, als schaute einen die Stadt buchstäblich an.

Der 1904 in Berlin geborene Werner Heldt wuchs in einem Pfarrhaus auf. Heinrich Zille wird ihm zum großen Vorbild. Frühe Werke lassen aber ebenso an den Sezessionisten Lesser Ury denken. Aber er sieht sich mit seiner Vorliebe für das Traumhafte auch als Romantiker. Schwierigkeiten mit seiner Homosexualität treiben den jungen Künstler in selbstzerstörerische Depressionen, die der Tod einer Freundin noch verstärken. Vor den Nazis flüchtet er 1944 nach Mallorca, von wo ihn jedoch der Spanische Bürgerkrieg wieder nach Berlin vertreibt. Die größte Angst bereitet ihm die Vorstellung, die Nazis könnten ihn wegen seiner Homosexualität verhaften.

Unter dem beänstigenden Eindruck der Massenbewegung jener Zeit reflektiert er in den Beobachtungen über die Masse die ganz persönliche Bedrohung. Es ist ein Plädoyer für den Außenseiter, der gegen den Strom zu schwimmen den Mut aufbringt. Zu seinen kritischen Beobachtungen über die uniformierte Massengesellschaft paßt eine Zeichnung (1933/34), auf der eine unübersehbare Menschenmenge mit Fahnen und Transparenten zu sehen ist. Die Köpfe der Menschen bestehen aus endlosen Reihen von Nullen. Heldt nennt das Blatt Aufmarsch der Nullen.

Werner Heldt, der in der Klosterstraße inmitten Alt-Berlins aufwuchs, reizt in den frühen Werken der zwanziger Jahre dieses Milieu. Mit Vorliebe behandelt er das nächtliche Berlin, die vom Dämmerlicht der Laternen beleuchteten Straßen. Wird man in späteren Bildern fast vergeblich nach Menschen suchen, tauchen sie als Huren, Kneipengänger und Passanten beim Flanieren in den „Milieu„-Bildern - wenn auch gesichtslos - noch auf. Heldt ging es dabei um ein Gefühl von Vertrautheit, die er nur im Umfeld der Klosterstraße empfinden konnte. Die mondäne Welt des Berliner Westens ist ihm suspekt. Er lehnt den Snobismus ab und fühlt zugleich die Gefahr, von dieser Glitzerwelt angezogen zu werden.

Dennoch, Werner Heldt lebte bis zu seinem Tode im Jahre 1954 ein exzessives Leben, angetrieben von Schuldgefühlen, Vorwürfen und Selbstzweifeln. Dabei unterstützte seine introvertierte Religiosität die grüblerische Natur.

Unser kanonisiertes Kunstverständnis hat den Maler Werner Heldt als einen Nachkriegskünstler zur Kenntnis genommen und ihn in dieser Ecke bislang stehen lassen. Zu entdecken gibt es indes mehr als nur „Trümmerbilder“.

Nora Eckert

Kunsthalle Nürnberg, bis 11.Februar 1990

-danach: Berlinische Galerie im Martin-Gropius-Bau, Berlin:

23. Februar bis 15. April 1990 und

Kunsthalle Bremen: 20. Mai bis 8.Juli 1990

Katalog 39 DM

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