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Staat fühlt sich von Bürgern bedroht

Kritische Wissenschaftler gegen autoritäre Staatsfixierung / Kommission der Bundesregierung legt Bericht vor  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Gewalt in politischen Auseinandersetzungen“, so führte der Hamburger Kriminologe Professor Fritz Sack aus, „wird in aller Regel von staatlicher Seite eingeführt“. Diese Rolle des Staates an der Eskalation aber werde in dem vor zwei Wochen vorgelegten Bericht der von der Bundesregierung berufenen „Gewaltkommission“ völlig ausgegrenzt - darüber waren sich am Donnerstag die Teilnehmer einer Bonner Podiumsdiskussion einig. Eine Vielzahl von kritischen Einwänden machte deutlich, daß die vor zwei Jahren nach den Todesschüssen an der Startbahn West eingerichtete Kommission vor allem autoritäre Staatsgesinnung vertritt. Alltägliche Gewalterfahrungen wie soziale Zwänge, Umweltzerstörung, Militarismus und die vielen tausend Toten und Verletzten des Straßenverkehrs sowie deren gesellschaftliche Ursachen werden dagegen weitgehend ignoriert.

Der Staatsapparat glaubt sich gegen den Bürger verteidigen zu müssen, machte Professor Jürgen Habermas als „Bedrohungsperspektive“ der Studie aus. Die 158 Vorschläge der Gewaltkommission „verdichteten sich zum Konzept einer lückenlosen Vernetzung sozialer Kontrollen“, wertete er. Ein Identifikationsprozeß mit demokratischer Kultur aber gelinge nur, wenn „ziviler Streit zur Gewohnheit werde“. Rechtsgehorsam aus Einsicht lasse sich nicht staatlich organisieren. Die Gewaltkommission hatte sich für einen starken Ausbau polizeilicher Maßnahmen ausgesprochen: Verstärkt sollen V-Leute eingesetzt, Demonstrationen stärker überwacht, potentielle Gewalttäter schon vorab für mehrere Tage eingeknastet werden. Auch eine Bestrafung von Sitzblockierern hält die Kommission weiterhin für nötig. Sie macht auch Vorschläge zur Veränderung der politischen Bildung in den Schulen. Ein angebliches „Anpassungsdefizit“, so der Bielefelder Wissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, solle durch „Verpflichtungskunde und Loyalitätseinübung“ bekämpft werden. Heitmeyer wies außerdem auf die Ausblendung von rechtsextremer Gewalt in dem Bericht hin. Diese werde als jugendlicher Vandalismus entpolitisiert - wohl deshalb, weil sie sich gegen machtlose Außenseiter und nicht gegen den machtvollen Staat richte. Zuvor hatten der Hamburger Sozialwissenschaftler Professor Hakki Keskin und die Düsseldorfer Dolmetscherin Isabel Basterra erläutert, daß Ausländerfeindlichkeit und Rassismus als Bedrohung des sozialen Friedens von der Gewaltkommission nicht wahrgenommen werde. Ausländer erscheinen nur als „Subjekte der Gewalt, nicht als Opfer“.

Die von den Gutachtern vorgeschlagene „präventive Polizeipräsenz“ in Gebieten mit hohem Ausländeranteil verfestige das Feindbild und sorge für weitere Stigmatisierungen. Die staatliche Verweigerung einer Gleichstellung der Ausländer sei eine „legalisierte Form von Gewalt“. Dies mache Ausländer zu „Sündenböcken“ und Zielscheibe für Gewalt, die aus anderen gesellschaftlichen Problemen herrühre.

Der Familienforscher Professor Reinhardt Wolff wies auf die unerträgliche soziale Lage vieler Familien hin, denen der Staat nur ungenügende soziale Einrichtungen anbiete. Hilfsangebote aber bekämen zunehmend einen „gewalttätigen“ Charakter. Wie blauäugig die Gutachter mit dem Gewaltpotential in den Städten umgehen, verdeutlicht ihr Vorschlag, man sollte Jugendlichen an „weniger auffälligen Stellen im öffentlichen Raum“ das Graffiti-Malen erlauben.

Der Frankfurter Richter Ulrich Baltzer verurteilte den Vorschlag, wegen angeblichen „Mißbrauchs“ die Verteidigerrechte einzuschränken. Es sei für das Rechtsgefühl „schwer erträglich“, wenn schlimmste Umweltzerstörungen straflos geschehen könnten, sagte der Bremer Generalstaatsanwalt Hans Janknecht, aber öffentlicher Protest dagegen unnachsichtig verfolgt werde.

Der ehemalige Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Schröder, kritisierte, daß die Einsätze gegen Bürgerproteste Polizisten zu Opfern einer falschen Politik mache. Der kritische Polizist Manfred Such, derzeit Grünen -Bundestagsabgeordneter, vertrat, daß die Politik die Polizei längst nicht mehr kontrolliere, sondern zumeist „bedingungslose Rückendeckung“ für Verfehlungen gebe. Nur der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) fand positive Aspekte in dem Kommissionsbericht. Im Gegensatz zur Ansicht der Bundesregierung komme die Kommission immerhin zum Schluß, daß die politisch motivierte Gewalt nicht zunehme. Auch werde nicht bestätigt, daß die von der Bundesregierung zwischenzeitlich verschärften Gesetze zum Demonstrationsrecht „überhaupt sinnvoll sind“, betonte Schnoor. Schnoor aber sprach in den freien Raum: Vertreter von CDU und FDP waren nicht erschienen.

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