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Dioxin-Klitsche ist „mittellos“

Die Sanierung der vergifteten Flächen in Rastatt kommt nicht voran / Firmen suchen Zuflucht bei Lothar Späth / Untersuchungsausschuß vor Ort  ■  Von Andreas Harthan

Stuttgart (taz) - Die „Umweltsau Nummer Eins“ heißt Metallhütte Fahlbusch und suhlt sich in Rastatt. Dieser Meinung ist jedenfalls der Obmann der Grünen im baden -württembergischen Landtagsuntersuchungsausschuß „Gefahren durch Dioxine“, Jürgen Rochlitz. In den vergangenen Tagen beschäftigte sich das Gremium - der erste Untersuchungsausschuß, der sich mit dem Ultragift Dioxin auseinandersetzt - mit den Vorgängen in Rastatt.

Nach einem Vor-Ort-Termin und 15 Zeugenvernehmungen sprachen auch Ausschußmitglieder von einem handfesten Umweltskandal. Die Anlieger der Giftschleuder, die 1986 stillgelegt worden ist, tun das schon seit 1957. Doch keine Behörde nahm sie ernst - bis auf die Polizei. Die erstattete mehr als 500 Strafanzeigen gegen die Metallhütte, die jahrzehntelang unbehelligt die Umgebung mit Dioxinen und Schwermetallen verpestete.

Schon 1985 wurde im Filterstaub eine alarmierend hohe Dioxinkonzentration gemessen: 72.000 Nanogramm pro Kilogramm (ng/kg). Doch das zuständige Gewerbeaufsichtsamt stellte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus, und die Behörden schliefen weiter. 1986 wurde der Betrieb dichtgemacht, und wieder spielte das Gewerbeaufsichtsamt eine traurige Rolle. Es versicherte dem Regierungspräsidium Karlsruhe, das Firmengelände sei staubfrei, weshalb kein belastetes Material in das benachbarte Wohngebiet verdriftet werden könne. Jahre später wiesen Staubproben vom „staubfreien“ Gelände Dioxinwerte von 640.000 (!) Nanogramm auf. Jetzt räumte der damalige Regierungsvizepräsident, heute im Stuttgarter Staatsministerium tätig, ein, daß damals eine „Fehleinschätzung“ vorlag.

Es war nicht die einzige. Im April 1987 gab das Bundesgesundheitsamt (BGA) den Rat, zumindest den Boden von zwei hochbelasteten Grundstücken in der Nachbarschaft des Dioxin-Herdes auszutauschen. Doch die Angst vor den Kosten lähmten erneut die Behörden. Erst Ende 1989 fuhren die Bagger vor. Doch inzwischen geht es nicht mehr um Bodenaushub, sondern um die Evakuierung des Wohngebietes. Und zum xten Mal versichern die Bürokraten, daß keine Gesundheitsgefährdung vorliege.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit: 1987 fand im Ernährungsministerium in Stuttgart, das damals noch für Umweltfragen zuständig war, eine Besprechung statt, bei der das Bundesgesundheitsamt zu bedenken gab, daß „langfristig eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden“ kann, wie aus einem Vermerk eines Gesprächsteilnehmers hervorgeht. Das BGA gab die Empfehlung, den Bodenaustausch bis in spätestens sechs Monaten vorzunehmen. Doch bis heute ist nur ein einziges Grundstück saniert, das zweite -ein Kinderspielplatz!- weist noch immer einen Dioxingehalt von fast 500 ng/kg auf. Von den Bedenken des BGA erfuhr die Öffentlichkeit nie etwas.

Inzwischen sind die nur langsam in Gang gekommenen Sanierungsmaßnahmen wieder ins Stocken geraten. Kosten von 20 bis 30 Millionen Mark sind allein für die Entgiftung des weitläufigen Betriebsgeländes im Gespräch - zuviel für die Firma, die inzwischen damit droht, in Konkurs zu gehen und ihr Dioxin der Nachwelt zu überlassen. Und die Sanierung einiger Gärten in der Nachbarschaft, die die Firma laut Gerichtsbeschluß ebenfalls bezahlen muß, kommt für Fahlbusch schon gar nicht in Frage. Der Geschäftsführer erklärte dem Untersuchungsausschuß charmant, daß die Firma „faktisch mittellos“ sei.

Sehr viel mehr Geld hat dafür die Muttergesellschaft, die Norddeutsche Affinerie in Hamburg. Doch die will nicht den Dreck beseitigen, den die Tochter in Rastatt hinterlassen hat. Der Vorstand hat um ein Gespräch mit Ministerpräsident Späth gebeten. Die Vermutung liegt nahe, daß jetzt, nachdem Gerichte die Firma in die Sanierungspflicht genommen haben, die politische Schiene aktiviert werden soll.

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