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Keine „sofortige Vereinigung“

Erklärung des Präsidiums des Parteivorstandes von SED-PDS zu Hans Modrows Vereinigungsplan / „Voraussetzung ist die Respektierung der DDR-Eigenstaatlichkeit“  ■ D O K U M E N T A T I O N

„Der außerordentliche Parteitag unserer Partei hatte bereits festgestellt, daß die deutsche Frage im europäischen Rahmen zu lösen ist. Wir hatten auch erklärt, daß der Weg über eine Vertragsgemeinschaft und über konföderative Strukturen verlaufen wird, daß aber stets die Interessen der vier Mächte und der europäischen Völker zu beachten sein werden. Diese Aussagen bleiben gültig.

Wir begrüßen grundsätzlich, daß der Ministerpräsident der DDR jetzt aus seiner Sicht die Schrittfolge, die Bedingungen, Voraussetzungen und Ziele eines solchen Prozesses aufgezeigt hat.

Wir sind der Meinung, daß es noch einer weitergehenden inhaltlichen Bestimmung dieses Prozesses bedarf. Für uns ist unabdingbar, daß in ihm die soziale Sicherheit und die notwendigen rechtlichen Garantien für die Bürger der DDR gewährleistet werden. Die Werte der DDR sind einzubringen.

Das einige Deutschland muß nach unserer Auffassung soziale und demokratische Züge tragen, das heißt wir werden weiter um den demokratischen Sozialismus auf deutschem Boden kämpfen. Voraussetzung für den Einigungsprozeß ist jetzt die Respektierung der Eigen- ständigkeit und Eigenstaatlichkeit der DDR in ihrer Identität.

In Übereinstimmung mit dem Konzept des Ministerpräsidenten gehen wir davon aus, daß die Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten zu beenden ist.

Nur so kann eine Gemeinschaft gegenseitig vereinbart werden, nur so ist zu sichern, daß sich beide Staaten und Gesellschaften wandeln und reformieren und daß das Deutschland der Zukunft kein rechtes Großdeutschland wird, sondern ein Land, das sich in die europäische Konföderation friedlich einordnet.

Das Konzept zeigt deutlich, daß eine sofortige Vereinigung nicht möglich ist. Sie würde die sozialen Netze beider deutschen Staaten sprengen, unsere Werte ausklammern, die Kommunen beider Staaten überfordern, unbeherrschbare Situationen auf den Arbeitsmärkten schaffen und die europäische Stabilität ernsthaft gefährden.

Deshalb kommt es jetzt auf die ersten Schritte an, das heißt auf den zügigen Ausbau der Vertragsgemeinschaft mit dem Ziel der Schaffung einer deutsch-deutschen Konföderation.

Auf der vorgeschlagenen späteren Stufe genügt uns militärische Neutralität nicht. Wir gehen für diesen Zeitpunkt von der Notwendigkeit der Entmilitarisierung Deutschlands aus.

Hinsichtlich des vorgelegten Konzepts sind für uns die dort genannten Bedingungen und Voraussetzungen von grundlegender Bedeutung. Wir treten nach wie vor für ein europäisches Deutschland ein, wenden uns aber gegen die Vorstellung eines deutschen Europas.

Der Annäherungsprozeß muß ein fortschrittliches, soziales, demokratisches, humanistisches und konsequent antifaschistisches Deutschland erbringen.

Anderenfalls könnten wir ihm nicht zustimmen, weil er dann von großem Schaden für die Deutschen und Europäer in Ost und West wäre.“

(Hervorhebungen von der Redaktion)

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