: Die Einheit fördert den Zwiespalt
■ Modrows Vereinigungsplan stößt im Westen auf Kritik und im Osten auf Skepsis
Gegen die Architektur der Einheit ist die Quadratur des Kreises ein Kinderspiel. Modrows Vorschlag zur Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit seiner Regierung hat insbesondere in der BRD hektische Aktivitäten und auch wilde Denkspiele ausgelöst. Während West-Berlins Bürgermeister Momper die DDR nach dem Modell des Berlinstatus unter alliierte Kontrolle stellen will, geißeln Vogel und Genscher Modrows Konzept der Neutralität - wobei der Außenminister sich aber auch gegen die Ausdehnung der Nato nach Osten wendet. Die Finnen können sich allerdings über ihre Erfahrung mit der „Finnlandisierung“ nicht beschweren. Das kommende „Modell Deutschland“ bewegt den Blätterwald in den europäischen Nachbarländern - die Regierungen halten sich noch diplomatisch zurück. Ähnlich fein reagiert der Bundeskanzler: Er scheint zu seiner Grundhaltung des Aussitzens zurückgekehrt, jedenfalls will er bis zu den Wahlen am 18. März nicht über neue Pläne reden.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin Walter Momper hat gestern nach einem Besuch beim britischen Außenminister Douglas Hurt in London vorgeschlagen, bis zur endgültigen Vereinigung Deutschlands den alliierten Status von West -Berlin modellhaft auf das Gebiet der heutigen DDR anzuwenden. Diese Regelung solle solange gültig sein, bis im Rahmen des KSZE-Prozesses eine neue Friedensordnung für Europa gefunden sei, die die Einheit Deutschlands regele. Sein Plan sieht den Verbleib „Westdeutschlands“ in der Nato und den Austritt „Ostdeutschlands“ aus dem Warschauer Pakt vor. Voraussetzung dieses Modells sei zunächst die Festschreibung der polnischen Westgrenze durch die noch für dieses Jahr zu erwartende KSZE-Konferenz, die nach Mompers Vorstellungen in West-Berlin stattfinden soll. Aufgabe der am 18. März gewählten neuen DDR-Regierung sei es, sich sozusagen „selbst überflüssig zu machen“, um damit den Einigungsprozeß Deutschlands zu forcieren.
Die Frage der Anerkennung der Grenzen „zwischen Deutschland und seinen Nachbarn entsprechend ihrem heutigen Verlauf“ werde bei den westeuropäischen Nachbarn ernster genommen, „als das manche Leute in Bonn glauben“, sagte Momper, der am Donnerstag auch mit dem französischen Außenminister Dumas in Paris zusammengetroffen war.
Zusammengefaßt sieht Mompers Einheitsplan so aus: In Westdeutschland bleibt rechtlich alles beim alten, Ostdeutschland entwickelt dagegen - wie in West-Berlin in den letzten vierzig Jahren geschehen - „umfassende Bindungen an die Gesellschafts-, Wirtschafts- und Finanzordnung der bisherigen BRD. Konkret: Die BewohnerInnen Ostdeutschlands wählen den Bundestag und die gesetzgebenden Organe genauso wie die Bevölkerung im Westen Deutschlands. Das Gebiet der - dann ehemaligen - DDR wird entmilitarisiert. Deutsche Streitkräfte sind dort nicht mehr erlaubt. Statt dessen würden sich dort genausoviele Sowjetsoldaten aufhalten, wie amerikanische, britische und französische Truppen „westlich des Rheins und in West -Berlin“ stationiert seien. Die Bundeswehr bleibt uns nach Mompers Vorstellungen freilich erhalten, wenn auch in „deutlich reduzierter Truppenstärke“.
Die Gesetzgebung Westdeutschlands soll nach einer Übergangszeit auch in Ostdeutschland und in ganz Berlin gelten. Zugleich werde eine Verfassungsgerichtsbarkeit für alle Gebiete hergestellt. Ausgenommen bleibe die Wehr- und Verteidigungsgesetzgebung.
Momper sagte, daß der Handel Ostdeutschlands mit der Sowjetunion und den an Ostdeutschland grenzenden Staaten wie beispielsweise mit Polen oder der CSSR privilegiert werden müsse. Die EG-Mitgliedschaft Ostdeutschlands sei gleichzeitig gewährleistet, da die EG-Richtlinien ja auch in West-Berlin Gültigkeit besäßen.
Kontrolliert werden soll das neue Staatengebilde östlich der Elbe von den militärischen Verbindungsmissionen der vier Mächte in Deutschland. Die Gesetzgebung die auf Ostdeutschland ausgedehnt wird, wird in diplomatischen Missionen der vier Mächte in Berlin unverzüglich modifiziert. Wenn die Gesetzgebung militärische Fragen berühren könnte, können die Missionen, so sieht es der Momper-Plan vor, zum Zwecke der Prüfung ihre Aussetzung verlangen. Darüber hinaus haben sie das Recht, über alle Aktivitäten in Ostdeutschland und Berlin Auskunft zu verlangen, wenn diese Aktivitäten militärische Fragen berühren könnten.
Da die Verbindungsmissionen in Berlin ansässig sind, wäre das schon ein kleiner Vorgeschmack auf die künftige Hauptstadtfunktion der Spreemetropole in einem vereinigten Deutschland.
Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und den alliierten Mächten soll ein internationaler Gerichtshof das letzte Wort haben, dessen Urteilen sich Deutschland von vornherein unterwerfen soll.
Die Vorschläge von Hans Modrow zu einem vereinigten Deutschland lehnte Mompoer entschieden ab. Diese Idee sei im Grunde die Wiederholung der Stalin-Note von 1952. Sie trage nicht dem Wunsch der meisten DDR-Bürger Rechnung, die eine klare Zugehörigkeit zur Wertegemeinschaft des Westens wünschten.
Claus Christian Malzahn, London
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen