: Gorleben: Widerstand als Lebensform
■ 8.000 aus BRD und DDR gegen die PKA / Demo und Platzbesetzung
Die meisten Trabis fuhren am letzten Samstag auf der Landstraße von Gorleben nach Gedelitz am besetzten PKA -Gelände vorbei ins verkaufsoffene Lüchow. Trotzdem: „Wir haben uns hier ohne nationales Pathos gemeinsam getroffen, weil wir ein gemeinsames Ziel haben: Weg mit dem Atomprogramm hier und in der DDR“ begrüßte Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, DDR -DemonstrantInnen zur ersten DDR-BRD-gemeinsamen Demo, zu der etwa 8.000 Menschen zusammengekommen waren. Darunter ungefähr 80 BremerInnen, die sich noch während der Abschlußkundgebung unge
fähr 40 Meter tief in die Kiefernschonung neben dem Zwischenlager vorarbeiteten, um der dortigen „Bremer Hütte“ einen kleinen Anbau zu verpassen.
Seit Freitag nämlich unterstützt eine kleine Bremer Vorhut die seit Mittwoch andauernde Platzbesetzung, zu der die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg für den Fall der Baugenehmigung bundesweit aufgerufen hatte. Mit Sägen, Zimmermannshämmern, dicken Seilen und vielen Quadratmetern Abdeckplane improvisierten die KernkraftgegnerInnen eine solide Bleibe.
Das Hüttendorf erinnert athmosphärisch und architektonisch sehr starkjenem berühmten gallischen Urbild des Widerstandes: Bei der Wahl des Platzes sucht man zunächst nach einigen freistehenden Bäumen, die als Grundpfeiler dienen sollen. Dann werden umstehende Bäume abgesägt (bevor das die Rodungsbagger tun), die Äste entfernt und die Stämme als Querbalken genagelt oder mit Seilen festgezurrt. Als Dach dienen die mitgebrachten Planen, die Profis klemmen sie mit abgeschälter Rinde am Stamm fest und nageln die Rinde wieder an. Wenn dieses Gerüst steht, werden die Zwischenräume mit Brettern oder Baumstämmen dichtgemacht. Auf dem Boden verteilen die KernkraftgegnerInnen die Heugarben, die ihnen von den ansässigen Bauern gegen die Kälte geschenkt worden sind.
Betriebsamkeit herrscht in der Kiefernschonung neben dem Zwischenlager, dennoch ist aber immer Zeit für einen kleinen Bummel durchs Dorf, ein Pläuschchen hier und da, zur
Orientierung und zum gegeseitigen Kennenlernen. Fast vor jeder Hütte brennen Lagerfeuer, von denen wegen des feuchten Holzes dichte Rauchfahnen in die Luft steigen. Und ordentlich Budenzauber ist natürlich auch: Ein Jongleur, der auf einem Atommüllfaß balancierend mit brennendem Holz seine Kunst betreibt, ein Barde, der statt der ausgedienten Leier des Troubadix eine Mundharmonika spielt...
Die Kundgebung ist zu Ende. Neben Dirk Fritsche von der Grünen Partei in Stendal („Wir wollen den Stasistaat nicht gegen den Atomstaat eintauschen“) und Erika Drees vom Neuen Forum („So wie Bundesbürger das Recht haben, über Braunkohle -Dreckschleudern und vergiftete Flüsse in der DDR zu kritisieren, so dürften sich DDR-Bürger auch in die Gorlebener Atompläne einmischen“.), hatte der Grüne Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann noch eine flammende Rede gehalten: Mit Unterstützung der DDR-DemonstrantInnen könne man jetzt ein neues Kapitel im Widerstand gegen die atomaren Pläne in Gorleben beginnen. „Es sieht aus, als finge alles wieder von vorne an, aber diesmal ist alles anders: Wir haben Menschen aus der DDR auf unserer Seite.“
Nieselregen setzt ein. Seit Freitag ist den BesetzerInnen klar, daß sie vorerst nicht vom Gelände geräumt werden. Die Polizei hat ihre Schmerzgrenze zum Knüppel aus dem Sack deutlich sichtbar auf dem Kamm des Walles zum Zwischenlager gezogen: Sogar als der Karnickelzaun vor dem Wall niedergetrampelt wird, greift sie nicht ein. Vor der
Landtagswahl im Mai darf sich die niedersächsische Landesregierung keinen Fehler erlauben, und das weiß sogar der Innenminister.
Auch die DWK, die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, scheint sich auf eine Laissez-faire Haltung im Falle der Bauplatzbesetzung zurückgezogen zu haben: Zu schwer lastet auf ihr der Vorwurf, sie habe in den Genehmigungsunterlagen das programmierte „Verschwinden“ von jährlich 42 Kilogramm Plutonium allein im Versuchsstadium der Anlage verschwiegen. Ein weiterer Vorwurf trifft die genehmigende Aufsichtsbehörde, das niedersächsische Umweltministerium, weil beim abgelaufenen Planfeststellungsverfahren die BürgerInnen aus der DDR nicht einspruchsberechtigt waren. Deswegen haben die Anwälte der Bürgerinitiative, Nikolaus Piontek (Hamburg) und Reiner Geulen (Berlin) einen sofortigen Baustopp beim Verwaltungsgericht Lüneburg beantragt. Solange die Entscheidung noch aussteht, wird die DWK vorraussichtlich keinen Räumungsantrag stellen.
Gut Dreißig Hütten und mehrere Zelte zählte das kleine, wendländische Dorf am Samstag Abend. Zu den natürlichen Feinden der BesetzerInnen gehören in erster Linie Wind und Regen. Proviant wird in der gemeinsamen Küche ausgegeben, für Treffen gibt es einen urgermanischen Thing-Platz. „Radioaktivität kennt keine Grenzen“ leuchtet ein Transparent über dem Dorf, und setzt in zweiter Reihe fort: „Wir auch nicht!“ ma
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