: Deutsch-deutscher Widerstand in Gorleben
Die geplante Konditionierungsanlage bringt 8.000 AtomkraftgegnerInnen aus der DDR und der BRD auf die Beine / Baugelände wurde besetzt Räumung noch ungewiß / Diskussion über Atomenergie muß in der DDR angeschoben werden / Gegen „deutschnationalen Taumel“ ■ Aus Gorleben Dirk Seifert
Nach dem Scheitern der Baupläne in Wackersdorf gerät das niedersächsische Gorleben wieder zum Brennpunkt des Widerstandes gegen Atomanlagen. Am Samstag folgten 8.000 Menschen, darunter mehrere hundert, die mit Bussen und Privatautos aus der benachbarten DDR angereist waren, dem gemeinsamen Aufruf zahlreicher Bürgerinitiativen zur ersten deutsch-deutschen Anti-Atom-Demonstration gegen die (Pilot -)Konditionierungsanlage (PKA).
Das dafür vorgesehene Baugelände wird seit Donnerstag von AtomkraftgegnerInnen besetzt gehalten. Inzwischen haben die BesetzerInnen zahlreiche Hütten gebaut, und auch am Wochenende wurde fleißig an der Vergrößerung des Dorfes gearbeitet. Nach Angaben der Bürgerinitiative Lüchow -Dannenberg befanden sich zuletzt etwa 300 BesetzerInnen ständig auf dem Gelände.
Zu Beginn der Kundgebung auf dem besetzten Bauplatz betonte Wolfgang Ehmke für die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, daß es bei dieser gemeinsamen Veranstaltung von west- und ostdeutschen Anti-Atom-Initiativen nicht um eine „miese Kopie des deutschnationalen Taumels“ gehe, der immer mehr Menschen in der BRD und der DDR erfasse. Der Widerstand gegen Atomanlagen müsse genauso grenzenlos sein wie die Radioaktivität. Ehmke warnte vor einer „schiefen Optik“ in der aktuellen Diskussion um die Atomenergie. Wenn CDU -Umweltminister Töpfer die Stillegung des AKWs in Greifswald fordere, sei das zu begrüßen. Aber, so Ehmke weiter: „Jedesmal, wenn ich einmal Greifswald höre, möchte ich gleich zweimal Stade, Stade, Würgassen, Würgassen antworten.“
„Nuklearer Kolonialismus“
Jetzt stünde an, die bisher wenig entwickelte Diskussion über die Nutzung der Atomenergie in der DDR anschieben zu helfen, um damit dem „nuklearen Kolonialismus“ der bundesdeutschen Atomindustrie etwas entgegenzusetzen.
Ähnlich sah das auch ein Vertreter der DDR-Grünen, Dirk Fritsche aus Stendal. Auch er nannte es eine „vordringliche Aufgabe“, die Menschen in der DDR für die Problematik der Atomenergienutzung zu „sensibilisieren“. Bisher habe es in der DDR keine Informationen über die Risiken der Atomkraftwerke gegeben. Fritsches Vorschlag: Statt wie geplant weitere 26 Milliarden Mark in die Fertigstellung des AKWs in Greifswald zu stecken, solle mit dem Geld ein Energiesparprogramm finanziert werden, „das wesentlich mehr Energiegewinne brächte, als das KKW in seiner gesamten Betriebszeit je erzeugen könnte“. Gleichzeitig könne man mit dem Geld Entschwefelungsanlagen für die Braunkohlekraftwerke bauen. Die Befestigungsanlagen am Zwischen- und Endlager in Gorleben erweckten, so Fritsche in seiner Rede weiter, „Erinnerungen an die Sicherheitsanlagen der Staatsgrenze“. Die DDR-Grünen befürchten, daß der „allgegenwärtige Stasi -Staat gegen einen Überwachungs-Atomstaat“ eingetauscht werden könnte. Aus seiner Sicht sei es ein Aberwitz der Geschichte, wenn die krisengeschüttelte westdeutsche Atomindustrie nun versucht, mit Hilfe des ostdeutschen Marktes wieder auf die Beine zu kommen.
Angebote der westdeutschen Energieversorgungsunternehmen Preußen-Elektra und BayernWerke, in der DDR vier Atomkraftwerke zu bauen, bezeichnete Fritsche als böses Spiel nach dem Motto „Ich kaufe mir einen Staat“. Deswegen rief er dazu auf, am 11.März gegen das Atomkraftwerk in Stendal zu demonstrieren und dazu ebenfalls Gruppen aus beiden deutschen Staaten zu mobilisieren.
Die Gorlebener RednerInnenliste war bereits deutsch-deutsch gehalten: Auf der Kundgebung sprachen neben Erika Drees vom Neuen Forum aus Salzwedel auch Kurt Dockhorn von der AG Schacht Konrad, Hannes Kempmann und Undine von Blottnitz aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg sowie Reinhard Görbing von der Leibziger Anti-AKW-Gruppe „Schwarzer Kater“. Kempmann wies unter anderem auch auf den beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg vorliegenden Antrag auf eine einstweilige Anordnung gegen die sofortige Vollziehbarkeit der PKA-Baugenehmigung hin. Mit aller Vorsicht schätzte er, daß die Chancen für eine Verhinderung des sofortigen Baubeginns recht günstig aussähen. Allerdings müsse der praktische Widerstand weitergehen.
Nach der Kundgebung war es mit der Zurückhaltung der Polizei vorbei; der Schlagstock kam zum Einsatz. Einige AtomkraftgegnerInnen hatten nämlich am geplanten Endlager, einige hundert Meter vom PKA-Gelände entfernt, versucht, den Schutzzaun zu demontieren. Festgenommen wurde dabei jedoch niemand.
Ob das besetzte Gelände in den nächsten Tagen geräumt wird, entscheidet sich in den nächsten Tagen. Die Bürgerinitiativen fordern alle AtomkraftgegnerInnen auf, die weitere Besetzung praktisch zu unterstützen, indem sie sich auf dem Bauplatz einfinden.
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