: WAS NICHT ZUSAMMENGEHT
■ Ruth Berghaus inszeniert Schillers „Braut von Messina“ in der Freien Volksbühne
Donna Isabella klagt. Kaum ist der Mann in der Gruft, sind die Söhne blutig entschlossen, sich gegenseitig nachzuschicken. Beide haben sie ein Söldnerheer, dumpfe Masse hinter sich, unpolitisch und zu allem bereit. Und auf der Bühne, in zwei offenen, feurig rot-orange erleuchteten Räumen, verteilt sich die Masse und wird dreieinhalb Stunden nicht mehr weichen: gesichtslose, bis auf den schwarz umrandeten Sehschlitz zugebundene Köpfe, gefüllte Offiziersmäntel, Lederhosen und Stiefel.
Schillers angestaubtes Blut- und Klagestück um zwei Fürstenbrüder, die sich über der Liebe zu ihrer nie gesehenen Schwester, wie vorherbestimmt, gegenseitig vernichten, hat als antikisierende Familientragödie nur durchschnittliche Reize. Doch als der Dichter so beim Tragödien-schreiben-üben war, entdeckte er den antiken Chor als theatralisches Ausdrucksmittel, nahm sich einen einfachen Plot und besetzte, ganz Theaterpraktiker, den Chor darin gleich doppelt: als reale Fürstendiener und als lyrische Kommentatoren des Verhängnisses. Als Stadtindianer, Großstadtgangs, so stehen sie zweihundert Jahre später in der Freien Volksbühne, locker das Schlagrohr in der Hand schwingend, aber streng choreographiert. Zwei Männer im gepflegten Frack, garniert mit Percussion-Ensembles und japanischem Gong, produzieren dramatische Spitzen, und schon setzen die gesichtslosen Krieger ein, Wortfetzen dehnend, Laute ausspuckend, all das aber ordentlich dirigiert. Man kann sich denken: in dieser Sprechoper ist jedes schräge Rezitativ notiert.
Ruth Berghaus spielt Schiller mit mehr Einfühlung als Respekt. Denn sein liebstes Kind, der antike Chor, hat bluten müssen: Die lyrischen Texte wurden auf komponierte Fragmente zusammengestrichen, die Masse, von Schiller auch und vor allem als relativierende Vernunftinstanz gegenüber den heißblütigen Tragödien gedacht, ist nahezu stets präsent, undurchschaubar eigenwillig. Als sich die Brüder vorübergehend versöhnen, gesellt sich die Gefolgschaft nur widerwillig zueinander, sitzt zwei und zwei manieriert nebeneinander, und bei der ersten Gelegenheit teilt sich wieder, was nicht (mehr) zusammengeht. Hinter Schillers feindlichen Brüdern stehen feindliche Reiche, und der von Donna Isabella im Traum gesehene „Fluch“, der über dem Fürstentum Messina lastet, läßt sich als Sturm der Geschichte lesen, der die alte Ordnung mit sich reißt.
Abgelöst wird das absolutistische Fürstentum von feudaler Kleinstaatlichkeit, die Etiketten-Verbindung von Besitzverhältnissen. Doch wo schon bei Schiller der Fortschrittsoptimismus sich in Grenzen hält, untergräbt Berghaus jeden Respekt vor der neuen Herrschaft, gönnt ihr nicht mal den tragischen Abgang. Wenn der junge Don Cesar nach dem Eifersuchtsmord an seinem Bruder anhebt, die letzten Worte zu sprechen, mit denen er seinen Selbstmord erklärt, schraubt ihn der Chor aufs Mittelmaß zurück mit rhythmischen Brocken „Hm, hm - hm, hm“, so als wäre das auch nicht mehr die zeitgemäße Lösung. Denn unsichtbar walten die Herrschaftsverhältnisse: Mal besteigt die Truppe als rauhe Spießgesellenschaft den Schoß der Gebieter-Geliebten Beatrice, mal lehnt sie auch nur als Bühnendekoration in den ausgeschnittenen Fenstern, wie die Engelchen im Barock, und greift dann wieder dämonisch nach der bedrohten Schwester. Die Handlung findet auf vielen Ebenen statt, und doch geht Bedeutung nicht hochschwanger durch den Raum. Selbst Elisabeth Trissenaar ist wie ausgewechselt, obwohl sie als Donna Isabella nach Herzenslust die Walküre spielen darf. Wenn sie in hysterischem Mutterschmerz die Gruft umkreist, muß sie das mit kleinen formalisierten Schritten tun dreimal um die Gruft, das muß reichen. Die trotzig drängelnden Fürstenbrüder Don Cesar und Don Manuel (Ingo Hülsmann und Marcus Bluhm) wirken, wenn sie mehr ums Eigentum als um die Liebe raufen, stets ein wenig lächerlich in ihrer Machopose. Don Cesar schaut sich dreimal um beim Liebesversprechen, besser bei der Abnahmegarantie, ob ihm der Chor auch Zeuge ist, und muß sich, als er über seine Position spricht, auch noch auslachen lassen.
Das kritische Verhältnis zur Macht des Einzelnen, die Abhängigkeit von sozialen Prozessen können aber der privaten Tragik des Verlierers nichts nehmen. Der ewig Zweitgeborene, zweitgeliebte Brudermörder ersticht sich mehr aus Prinzip als aus Konsequenz und gegen den Willen seiner Mutter. Nicht aus Schuldbewußtsein handelt er, mit seinem Tod will er sie endgültig zwingen, beide Brüder gleich zu lieben. Perspektiven hat er ohnehin keine, die Geliebte (Lilian Naef) wird, als sie sich als Schwester entpuppt, uninteressant. Sie, die ohnehin nur geworfenes Mädchen mit der Ähre in der Hand spielen durfte, hart am Kitsch vorbei, geht gleich selber in die Gruft. Und dann darf Donna Isabella, von allen verlassen, noch einmal ganz langsam von weit hinten nach vorne an die Bühnenrampe kriechen, als gefräßiges Muttertier, das die auseinanderfallenden Reiche kitten wollte und gerade durch ihr korrigierendes Eingreifen an der Geschichte gescheitert ist. Indem Ruth Berghaus in der Braut von Messina sich der expliziten Aktualisierung enthält, bezieht sie Position.
Aus der deutschen Unvereinbarkeit von politischer und geistesgegenwärtiger Kultur hat Schiller an anderer Stelle einmal gefolgert: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.“
Dorothee Hackenberg
Regie: Ruth Berghaus. Dramaturgische Einrichtung und Chortexte: Karl Mickel. Komposition und musikalische Leitung: Paul-Heinz Dittrich. Bühnenbild und Kostüme: Peter Schubert.
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