: KENNEN SIE DIE?
■ Gespräch mit einer Ostberliner Frauenbewegerin
Dem vor wenigen Wochen gegründeten unabhängigen Frauenverband gehören verschiedene Gruppierungen und Initiativen von Frauen an, deren gemeinsames Ziel darin besteht, an einer grundlegenden Erneuerung des Landes mitzuwirken. Wir sprachen mit einer von ihnen: Brigitta Kasse ist die Initiatorin des Frauenzentrums Marzahn, wir befragten sie zur Frauenbewegung wie zum Marzahner Projekt.
Frau Kasse, seit wann beschäftigen Sie sich mit der Frauenfrage, und welche Beweggründe gab es für Sie, sich dieser Problematik anzunehmen?
Mein Engagement für die Frauenbewegung hat mehrfache Gründe. Zum einen gab es im Verlauf meiner beruflichen wie auch privaten Entwicklung immer wieder Situationen, die mich deutlich spüren ließen, daß ich als Frau keinesfalls gleichberechtigt war. Zum anderen bin ich durch meine Tätigkeit als Soziologin mit vielen Problemen auf dem Gebiet der Arbeitstätigkeit von Frauen und deren Benachteiligung im Berufsleben vertraut.
Seit der Umbruchssituation im Oktober vergangenen Jahres beteiligen sich zunehmend auch die Frauen am politischen Dialog. Wodurch ist Ihrer Meinung nach die Situation innerhalb dieser neuen Frauenbewegung gekennzeichnet?
Die neue Frauenbewegung der DDR versucht, sich durch politische Arbeit im Sinne einer Interessenvertretung für Frauen, gleichzeitig aber auch über verschiedene konkrete Projekte zu profilieren. Bisher gab es eigentlich keine wirkliche politische Interessenvertretung für Frauen. Es gab den DFD, von dem sich die Frauen aber nicht angesprochen fühlten, konnte sich diese Organisation doch über die staatlich verordnete Familienpolitik hinaus nicht für die Belange ihrer Mitglieder einsetzen. Der neugegründete Frauenverband will Defizite beseitigen - durch politische Aktivität zum einen, durch konkrete Angebote für Frauen andererseits.
Nun gibt es nicht nur Befürworter einer solchen Entwicklung. Schnell werden engagierte Frauen als Emanzen verschrien. Weshalb müssen dennoch die Interessen der Frauen auf besondere Art und Weise vertreten werden?
Der wesentliche Grund für die Etablierung einer speziellen Interessenvertretung besteht meiner Meinung nach darin, daß wir von einer sozialen Gleichstellung der Frauen in der DDR bis heute einfach noch nicht sprechen können; diese durchzusetzen bedarf es besonderer Initiativen eigenständiger Vertretungen. Die Situation ist doch so, daß die Frauen viele Probleme, die folglich einer gesellschaftlichen Lösung bedürfen, völlig übersehen.
Weiter müssen verschiedene soziale Gruppen in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses rücken. Wurde das bisherige Frauenbild absolut undifferenziert dargestellt, gilt es jetzt, sehr nachdrücklich die real vorhandenen unterschiedlichen Lebenslagen und Interessen der Frauen öffentlich zu machen. Das bedeutet, sowohl den Frauen, die sich für Beruf und Familie entscheiden, als auch jenen, die entweder Familie oder Beruf als die ihnen mögliche Variante in Betracht ziehen, gleichermaßen gesellschaftliche Anerkennung entgegenzubringen. Berücksichtigt werden müssen schließlich auch die sozialen Lebensbedingungen bestimmter Frauen. Die materiellen Voraussetzungen Alleinerziehender beispielsweise liegen nachweislich weit unter denen einer vollständigen Familie. Arbeiten diese Frauen dann auch noch in geringbezahlten Berufen, gehören sie bereits jetzt zu den sozialen Randgruppen der Gesellschaft. Wir befürchten, daß der gegenwärtig beginnende Abbau von Subventionen sowie weitere Maßnahmen, die sich aus der wirtschaftlichen Situation dieses Landes ergeben, gerade jene Frauen besonders treffen, ebenso wie einen großen Teil der Rentnerinnen, die unter vergleichbar schlechten Bedingungen leben. Frauenarmut zeichnet sich ab, wird in der Politik diese Situation nicht berücksichtigt.
Frauenarbeit hat schließlich auch mit konkreten Projekten zu tun. Das von Ihnen initiierte Frauenzentrum Marzahn ist ein solches Projekt. Wie ist es gewachsen, welche Ideen sollen verwirklicht werden?
Längere Zeit schon hatte ich den Gedanken, eine Interessengruppe Alleinerziehender zu gründen. Persönliche Erfahrungen spielten da eine große Rolle. Der Aufbau eines Frauenzentrums schien mir eine angemessene Form, den sozialen Schwierigkeiten dieser Frauen zu begegnen. Unser Zentrum soll es ihnen ermöglichen, sich zu treffen, Probleme zu artikulieren, miteinander ins Gespräch zu kommen. Wir wollen Selbsthilfe- und Interessengruppen bilden, Sport- und kulturelle Veranstaltungen, auch ein Frauencafe anbieten. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Konflikt - und Lebensberatung sein.
Inwieweit konnten Ihre Vorstellungen bisher verwirklicht werden, treten Schwierigkeiten auf?
Zunächst sind wir froh, inzwischen über zwei Geschäftsräume zu verfügen. Das ist ein Anfang, die Arbeit überhaupt in Gang zu bringen, für das gesamte Projekt natürlich nicht ausreichend. Gemeinsam mit dem Rat des Stadtbezirkes müssen nun konkrete Absprachen getroffen werden. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten. Nach der ersten Euphorie lassen Interesse und Kraft bei einigen Frauen etwas nach. Da ist schon ein großes Maß an Energie und Einsatz notwendig, ein solches Projekt durchzusetzen. Als einen ersten Schritt betrachten wir die Einrichtung eines Frauenplaudertreffs, der ganz sicher manche Mitstreiterin zu uns führen wird. Ab sofort laden wir also jeden letzten Dienstag im Monat von 20 bis 22 Uhr ins Plaudercafe ein: zu finden im Berliner Club der Endzwanziger (Nähe S-Bahnhof Ahrensfelde). Jeden Donnerstag gibt es außerdem (von 16 - 20 Uhr) eine Konsultationsgruppe, an die sich Frauen mit ihren privaten und beruflichen Problemen wenden können. Adresse: Frauenzentrum Marzahn, 1143 Berlin, Heinrich-Rau-Straße 384. Wir hoffen auf einen regen Zuspruch und denken dabei sowohl an jene, die ihre Mitarbeit anbieten, als auch an alle anderen, die dieses Angebot nutzen wollen.
Das Gespräch führte Regina Köhler.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der 'Neuen Zeit‘
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