: „Stopp mit sämtlichen Bettenstreichungen“
■ Interview mit der gesundheitspolitische Sprecherin der AL, Gisela Wirths, zur Krankenhausplanung des Senats für die Neunziger: Nicht einfach „drauflos planen“ ist angesagt / Ein völlig neuer Krankenhausplan muß erarbeitet werden
taz: Der rot-grüne Senat erarbeitet zur Zeit einen neuen Krankenhausplan. Bis zu seiner Fertigstellung gilt jedoch noch der vom CDU/FDP-Senat erarbeitete „Krankenhausplan86“. Die Folge: In der Zeit vom 1.Juni bis zum 30.November 1989 wurden 447 Akutbetten in West-Berlin gestrichen. Wird das denn den aktuellen Entwicklungen noch gerecht?
Wirths: Wohl kaum. Ich denke, die Gesundheitsverwaltung hat die Folgen der Bettenstreichungen völlig unterschätzt. Das sieht man jetzt daran, daß durchweg alle Krankenhäuser in West-Berlin überbelegt sind. Auf Anfrage nennt die Verwaltung jedoch nur statistische Jahreszahlen, die eine Belegung von 90 Prozent ausweisen. Die jetzige Situation wird mit sogenannten Stoßzeiten begründet. Das halte ich jedoch für falsch. Insbesondere die Intensivabteilungen und Notaufnahmen sind in letzter Zeit ständig überbelegt; wir können davon ausgehen, daß die Situation schon seit Jahren nicht mehr so extrem war wie in den letzten Wochen und Monaten.
Worin sehen Sie jetzt das größte Problem?
Das sehe ich darin, daß nach wie vor Betten geschlossen werden. Es ist in den Koalitionsvereinbarungen zugrunde gelegt worden, daß keine Krankenhausbetten mehr geschlossen werden dürfen - bevor nicht ambulante und teilstationäre Einrichtungen aufgebaut worden sind.
Auf welchem Stand ist denn jetzt die Diskussionsvorlage für den rot-grünen Krankenhausplan 1996?
Die Vorlage existiert seit November 1989. Parallel dazu wurde ein neuer Krankenhausbeirat zusammengesetzt, in dem die Planung diskutiert werden soll. Die Vorlage geht davon aus, daß die Überarbeitung des Krankenhausplans in zwei Schritten erfolgen soll. Der erste Schritt heißt, daß bis zur Sommerpause die Geriatriereform-Planung fertiggestellt sein soll. Danach werden einige tausend Akut- und Chronikerbetten in Geriatrie- oder Krankenheimplätze umgewidmet. Die Planung beinhaltet außerdem zusätzliche 1.900 Akut-Geriatriebetten bis 1996. Dort sollen alte Menschen, die akut erkranken, aufgenommen und altersgemäß rehabilitativ versorgt werden. Der zweite Schritt erfolgt erst nach Fertigstellung eines Gutachtens. Das Gutachten hat nach meiner Information den Auftrag, die derzeitige Fehlbelegung zu untersuchen: Woher kommt sie, wie kann man sie möglicherweise vermeiden, zum Beispiel durch ambulante Einrichtungen schon im Vorfeld. Basierend auf der Auswertung des Gutachtens soll dann der neue Krankenhausplan, genauer gesagt, Gesundheitsplan entstehen.
Wann ist damit zu rechnen?
1992.
Dies ändert aber momentan nichts an der akuten Überbelegung in den Westberliner Krankenhäusern.
Das ist das große Problem. Ich habe die Auskunft erhalten, daß erst einmal keine Betten mehr geschlossen werden sollen, abgesehen von den Schließungen im Rahmen der Verlagerung des Universitätsklinikums Rudolf Virchow. Aber selbst diese 1.086 Betten dürften nicht geschlossen werden, bevor nicht im Norden ein weiteres Krankenhaus beziehungsweise ambulante und teilstationäre Einrichtungen entstehen. Überhaupt bezieht sich die gesamte Planung, die jetzt schon abläuft, auf den stationären Bereich, ohne auf das Gutachten zu warten. Mit dem ersten Schritt zum „Krankenhausplan 96“ werden wieder Fakten geschaffen, die hinterher nicht korrigierbar sind. Zm Beispiel ist die Rede von 7.000 Krankenheimplätzen zusätzlich, obwohl es höchst fraglich ist, ob die überhaupt gebraucht werden. Die Verwaltung müßte meiner Meinung nach das Gutachten erst einmal abwarten. Gleichzeitig müßte anhand von Mortalitätsstudien und der Bevölkerungsstruktur in den Bezirken geplant werden, wie welche ambulanten beziehungsweise komplimentären Einrichtungen wohin verteilt werden. Bis dahin: Stopp mit sämtlichen Bettenstreichungen, auch im Rudolf-Virchow -Krankenhaus. Es ist sinnvoller, jetzt eine umfassend verzahnte Gesundheitsplanung zu machen, als wieder einfach mit Betten beziehungsweise mit deren Streichung drauflos zu planen - um dann eben nicht wieder, wie jetzt, ohne entsprechende Vor- und Nachsorge dazustehen.
Interview: Martina Habersetzer
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