: Nicaragua: „Privatisiert wird auf alle Fälle“
Wahlkampf auch mit Wirtschaftspolitik / Bei Frieden im Lande erhoffen die Sandinisten fünf Prozent Wirtschaftswachstum, die Opposition verspricht das Doppelte / Inflation „nur“ noch vierstellig / Die FSLN dürfte beschlagnahmte Firmen und Ländereien eher zu Gunsten der Staatskasse verkaufen, die UNO würde sie den Enteigneten zurückgeben ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Erstmals in diesem Wahlkampf saßen sich kürzlich Vertreter der regierenden Sandinisten und der Oppositionsallianz UNO in einer Fernsehdebatte gegenüber. Die ZuschauerInnen durften gespannt sein, wie Francisco Mayorga, der wichtigste Wirtschaftsberater der UNO, die Sandinisten in der Luft zerreißen und seinen Sanierungsplan gegenüber Edmundo Jarquin, dem derzeitigen Botschafter in Spanien und gleichfalls Wirtschaftsexperte, verteidigen würde. Schließlich ist die Ökonomie des kleinen Landes anerkanntermaßen die Achillesferse der Revolutionsregierung.
Doch wer inhaltliche Diskussionen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Jarquin gelang es nämlich, die Debatte auf die Dissertation zu lenken, mit der sein Kontrahent Mayorga vor wenigen Jahren in Yale die Doktorwürden erlangt hatte. Darin hatte der Oppositionelle eingestanden, daß es mit der nicaraguanischen Wirtschaft auch ohne Krieg und Fehlplanung bergab gegangen wäre. Der bewaffnete Konflikt habe aber wesentlich zur Krise beigetragen. „Warum hält es Panchito heute in seiner Kritik nicht mehr für nötig, den Aggressionskrieg der Contras zu erwähnen?“, fragte Jarquin.
Tatsächlich unterscheiden sich die Wirtschaftsprogramme der gegnerischen Gruppen weniger in den Rezepten für die Sanierung als in der Analyse der Ursachen: Nach Berechnungen der sandinistischen Experten hat der Krieg in acht Jahren mehr als 17 Milliarden Dollar an direkten und indirekten Schäden verursacht, entspricht damit dem achtfachen Bruttonationalprodukt von 1988 und hat außerdem die Modernisierung der Industrie und die Abwendung von den traditionellen Exportprodukten verhindert. Für die meisten Oppositionellen waren es jedoch staatliche Intervention in die Wirtschaft und Hemmnisse für die Privatproduzenten, die die Krise auslösten.
Von der Politik der staatlichen Subventionen für Güter des Grundbedarfs sind die Sandinisten allerdings vor einem Jahr endgültig abgekommen und haben sich den Gesetzen des Marktes geöffnet. Tatsächlich konnte die Inflationsrate von sensationellen 33.000 Prozent (1988) auf „nur“ noch 1.689 Prozent im Vorjahr gedrückt werden. Die Exporte erholten sich nach einem historischen Tief von 235,7 Millionen Dollar auf 298 Millionen. Daß bei dieser Roßkur die Wirtschaft um nur 3,6 Prozent geschrumpft ist, feiert Planungsminister Alejandro Martinez Cuenca als großen Erfolg: „Die landwirtschaftliche Produktion und der Bergbau verzeichneten sogar ein Wachstum“. Die Wirtschaftsreform hat mit den Preisverzerrungen gründlich aufgeräumt. Waren vorher etwa für einen Liter destillierten Wassers an der Tankstelle genausoviel zu zahlen wie für 20 Liter Benzin, so entsprechen heute die Treibstoffpreise dem europäischen Niveau. Und ein Kaugummiverkäufer an der Straßenkreuzung muß sich jetzt sehr anstrengen, wenn er das Einkommen eines Mittelschullehrers erreichen will.
Wer heute Nicaragua bereist, wird feststellen, daß zumindest in den Städten nicht nur Lebensmittelengpässe der Vergangenheit angehören, sondern auch so ausgefallene Waren wie Benzin- oder Ölfilter für alle Automarken nicht mehr nur über den Schwarzmarkt organisiert werden können. Vorbei sind die Zeiten, als Autofahrer für den Erwerb einer Zündkerze ein Schreiben beim Transportministerium einreichen mußten, das dann binnen Wochenfrist erledigt wurde. Die Ersatzteile werden heute überall frei verkauft, allerdings zu einem Preis, der früher auf dem Schwarzmarkt verlangt wurde.
Das ist das Resultat der weitgehenden Annäherung des offiziellen Wechselkurses und des legalen Parallelkurses auf dem freien Markt. Während der offizielle Cordoba 1989 um 3.603 Prozent abgewertet wurde, stieg der Parallelkurs um lächerliche 930 Prozent. Gleichzeitig lagen die Lohnerhöhungen durchschnittlich über der offiziellen Inflationsrate. Statistisch gesehen geht es den Nicaraguanern also besser als vor einem Jahr.
1990, so hoffen die Wirtschaftsplaner, wird den endgültigen Aufschwung aus der Talsohle und eine nur mehr zweistellige Inflationsrate bringen. Unter der Voraussetzung, daß sich endlich der Friede einstellt und Ressourcen vom Militärhaushalt in die zivile Produktion umgeleitet werden können, verspricht Martinez Cuenca ein anhaltendes Wirtschaftswachstum von 5 Prozent jährlich. Damit würde Nicaragua im Jahre 2010 etwa das Produktionsniveau von 1977 erreichen.
„Die Sandinisten wollen unsere Unterentwicklung fortschreiben“, polemisiert Mayorga, der behauptet, sein Wirtschaftsplan könne ein jährliches Wachstum von 10 Prozent garantieren. In vier bis acht Wochen will er die Inflation drosseln und gleichzeitig die Produktion stimulieren und die Steuern senken. Der sogenannte Mayorga-Plan, der jüngst der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, geht davon aus, daß das freie Unternehmertum nach einem Wahlsieg der Opposition der Motor der Wirtschaft sein werde. Die Gefahr, daß die sandinistischen Gewerkschaften sich querlegen, hält Gilberto Cuadra, der Chef des Privatunternehmerverbandes COSEP, für gering. Er hofft, daß eine Niederlage der Revolutionäre zur Selbstauflösung der Massenorganisationen führt: „Aus einem gestürzten Baum macht man Kleinholz.“
Die Opposition wählt ganz bewußt das Bezugsjahr 1977, in dem außergewöhnlich hohe Kaffee- und Baumwollpreise eine untypische Hochkonjunktur verursachten. Nach einem Herzanfall Somozas begann kurz darauf bereits die Kapitalflucht, die noch lange vor der sandinistischen Machtergreifung den Abschwung einleitete.
Für Oscar Rene Vargas, einen in der Schweiz ausgebildeten Ökonomen, der sich als links von den Sandinisten definiert, wird der Wahlausgang auf den künftigen Wirtschaftskurs nur geringen Einfluß haben: „Privatisiert wird auf alle Fälle“. Doch während die UNO enteignete Liegenschaften und Produktionsbetriebe an die alten Eigentümer zurückgeben will, werden die Sandinisten eher an willige Produzenten verkaufen, um die Staatskasse zu füllen. Bei der Ausweitung der Exporte stützen sich beide auf die traditionellen Produkte wie Kaffee, Baumwolle und Rindfleisch. Die Wirtschaftsforscherin Vilma Ubau sieht einen Teufelskreis, aus dem es derzeit kein Entkommen gibt: „Die Regierung will die nicht-traditionellen Exporte fördern, doch gibt es ernste strukturelle Hindernisse wie den technologischen Rückstand und die Zerstörung der Industrie“.
Die ehrgeizigen Projekte der Exportdiversifizierung, die in den ersten Revolutionsjahren einen Ausbruch aus dem Schema struktureller Unterentwicklung versprachen, hatten geopfert werden müssen, sollte das nackte Überleben gesichert werden.
Nach den Wahlen soll in Stockholm die zweite Konferenz von europäischen Spendernationen stattfinden, die die neue friedliche Phase in der Entwicklung der Nation finanzieren sollen. Die Sandinisten wollen 115 Millionen Dollar für die Fortsetzung ihres Sanierungsprogramms. Die oppositionelle UNO glaubt, mit 200 Millionen den Aufschwung finanzieren zu können.
Aber auch im Wahljahr 1990 hat noch keiner eine Alternative zum Weiterwursteln entwickelt. Oscar Rene Vargas kritisiert an allen Parteien den Mangel an originellen Ideen für einen Ausweg aus dem Dilemma: „Stell dir vor, die USA würden die Hälfte der 17 Milliarden Dollar zahlen“ - die Summe, die Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof als Wiedergutmachung für zugefügte Schäden fordert -: „Es gäbe hier keine vernünftigen Pläne, wie das Geld investiert werden könnte.“
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