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Manipulierte Bakterien entfleucht

DDR-Wissenschaftler räumt fehlende Sicherheitsvorkehrungen in Gentech-Anlage „VEB Promiko“ in Schönebeck bei Magdeburg ein / Angeblich „kein Grund zur Panik“ / In der DDR existiert bisher nur ein Entwurf für eine gesetzliche Regelung der Gentechnologie  ■  Aus Berlin Wolfgang Löhr

Zu den deprimierenden Berichten über die allgmeine Umweltmisere in der DDR kommt jetzt noch der Offenbarungseid der Gentechnologie dazu: Am Sonntagabend mußte Professor Thomas Börner, Genetiker an der Humbold-Universität Ost -Berlin und Mitglied der staatlichen „Kommission für Arbeiten zur In-vitro Rekombination von genetischem Material“, mußte in einer Diskussionsrunde des Sender Freies Berlin zugeben, daß fehlende Sicherheitsvorkehrungen in einer gentechnischen Produktionsanlage zur massenhaften Freisetzung von gentechnisch manipulierten Bakterien geführt haben.

Die genmanipulierten Bakterien waren im „VEB Promiko“ in Schönebeck, einer Kleinstadt nahe Magdeburg, zur Produktion eines Enzyms für die Lebensmittelindustrie, der sogenannten Alpha-Amylase, eingesetzt worden. Promiko stellt seit vielen Jahren Enzyme für Bierbrauereien her. Ohne auf die besonderen Sicherheitsbelange bei der Produktion mit genmanipulierten Bakterien einzugehen, wurde der Betrieb auf manipulierte Bacillus-Bakterien umgestellt. Die Freisetzung der genmanipulierten Bacillus-Bakterien wurde dabei bewußt in Kauf genommen.

„Es besteht kein Grund zur Panik“, versucht jetzt der Ost -Berliner Professor zu beruhigen. Schlimmstenfalls könne ein Resistenzgen für ein Antibiotikum in den Bakterienpopulationen der Umwelt verbreitet werden. Derzeit würden Untersuchungen dazu gemacht.

Bisher gibt es in der DDR noch keine gültigen gesetzlichen Regelungen für das Arbeiten mit gentechnisch manipulierten Organismen. Seit 1985 existiert lediglich eine wenig ausführliche, vom Ministerium für Gesundheitswesen erlassene „Richtlinie zur In-vitro Rekombination von genetischen Material“. Die Richtlinie macht alle genetischen Arbeiten in der DDR anzeigepflichtig; darüberhinaus ist für die Manipulation von Krankheitserregern, das Arbeiten mit größeren Volumina oder für Freisetzungsexperimente eine Genehmigung vom Gesundheitsministerium einzuholen. Begutachtung und Kontrolle der Experimente obliegen einer speziellen Kommission.

Dieser Kommission gehören ausschließlich Vertreter verschiedener Ministerien und Wissenschaftler aus Gentechnik und Medizin an. Die elitäre bundesdeutsche Sicherheitskommission weist wenigstens noch einen Gewerkschaftsvertreter und einen Ökologen auf.

Ob es in der DDR noch zu einer eigenständigen gesetzlichen Regelung kommen wird, ist bei der derzeitigen politischen Entwicklung fraglich. Eher wahrscheinlich ist, daß im Rahmen der Angleichung beider deutscher Rechtssysteme das zur Zeit von der Bundesregierung hastig durchgepeitschte Gen-Gesetz übernommen wird.

Erste Schritte in Richtung DDR-Gen-Gesetz machten die Mitglieder der Ost-Kommission bereits im Juli vergangenen Jahres: Sie legten einen eigenen Entwurf vor. Während im bundesdeutschen Regierungsentwurf die „Förderung der Gentechnologie“ schwarz auf weiß festgeschrieben wird, spricht der DDR-Entwurf ausschließlich vom „Schutz“. Jede Anwendung gentechnischer Methoden muß gewährleisten, so der Gesetzbeger, „daß sie bei zuverlässiger Gewährleistung des Schutzes von Leben und Gesundheit des Menschen sowie des Schutzes der Umwelt zum Nutzen der Gesellschaft stattfindet.“ Arbeiten, die zur Erforschung oder Herstellung von B-Waffen oder Toxinwaffen dienen, sollen verboten werden. Der bundesdeutsche Gen-Gesetz-Entwurf verliert über dieses Thema kein Wort. Der DDR-Entwurf will jedoch noch mehr verbieten:

-die Manipulationen der menschlichen Keimbahn,

-Experimente, die zur Erhöhung der Pathogenität von Krankheitserregern führen und

-den Transfer von medizinisch relevanten Resistenzgenen in Krankheitserregern, die diese unter natürlichen Bedingungen nicht haben.

Bereits die „alltäglichen“ Arbeiten der Gentechnologie wie die Gewinnung von Nukleinsäuren mit dem Ziel einer Rekombination und die Konstruktion von Gentaxis zum Einschleusen neuen Erbmaterials sollen in den Regelungsbereich des Gesetzes fallen. Geplant war, alle gentechnischen Arbeiten meldepflichtig zu machen. Die in der Richtlinie vorgesehene Genehmigungspflicht für risikoreiche Arbeiten soll beibehalten werden. Doch die Begutachtung und Kontrolle ihrer gentechnischen Arbeit wollen die DDR -Wissenschaftler wie ihre West-Kollegen unter sich ausmachen: Ihrem Entwurf zufolge soll nur die Kommission fürs Kontrollieren zuständig sein. Sie wäre dem Gesundheitsministerium unterstellt, nur mit Wissenschaftlern besetzt und darüberhinaus zur Verschwiegenheit verpflichtet. Von einer Information der Bevölkerung, geschweige denn einer Öffentlichkeitsbeteiligung, ist in dem DDR-Entwurf an keiner Stelle die Rede.

Ehrlicher gehen die Verfasser des Ost-Papiers dagegen mit dem Begriff „Geschlossenes System“ um: Ein Gewächshaus fällt nicht darunter - die Bundesregierung sieht ein solches schon im Kuhstall auf dem Bauernhof... .

Daß in der DDR eine gesetzliche Regelung dringend notwendig ist, liegt auf der Hand. Bereits seit einiger Zeit findet unter den Gentechnikern eine rege Reisetätigkeit von Ost nach West und umgekehrt statt. Die Weitergabe und der Transport von genmanipulierten Organismen ist hier wie dort nicht geregelt und soll zumindest in der Bundesrepublik auch ungeregelt bleiben. Das lag gerade den Wissenschaftlern vehement am Herzen: Der Export ihrer Versuchsobjekte unterliegt dann nämlich keiner Kontrolle - Experimente, die in der BRD nicht genehmigungsfähig wären, könnten ohne Probleme in einem anderen Land durchgeführt werden. Diese bisher nur aus den USA bekannte Praxis scheint auch bundesdeutschen Universitätsprofessoren nicht unbekannt zu sein.

Der DDR-Entwurf für die gesetzliche Regelung der Gentechnik ist gegen Unkostenbeitrag beim Gen-ethischen Netzwerk Berlin erhältlich.

Adresse: GEN, Winterfeldtstr. 3 in 1000 Berlin 30.

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