: Modrows letztes Aufgebot
■ Volkskammer wählt acht Minister aus der Opposition in die Regierung / Schlimme Lage der DDR erfordert „Regierung der nationalen Verantwortung“ / „Republikaner“ werden verboten / Volksentscheid über die Einführung der DM vorgeschlagen / Westwahlhelfer ausgesperrt
Berlin (ap/dpa/taz) - Mit der sich ständig verschlimmernden Lage im Lande begründete Ministerpräsident Modrow gestern vor der Volkskammer die Bildung einer „Regierung der nationalen Verantwortung“. Die Volkskammer wählte in offener Abstimmung acht Minister aus den Reihen der Opposition in das bisherige Kabinett. Die neuen Minister, darunter Wolfgang Ullmann von „Demokratie Jetzt“, Rainer Eppelmann vom „Demokratischen Aufbruch“ und Gerd Poppe von der „Initiative Frieden und Menschenrechte“, haben keinen eigenen Geschäftsbereich. Sie sollen jedoch, laut Modrow, „insbesondere an der Entscheidungsfindung im Ministerrat“ beteiligt werden. Zwar sei eine Beteiligung von insgesamt 13 Parteien und Gruppierungen an einer Regierung für die DDR „ungewöhnlich“, aber „die Herstellung von Konsens“ sei gerade jetzt erforderlich. „Anders als in einer breiten Verantwortung kann die DDR jetzt nicht regiert werden“, rief Modrow den Abgeordneten zu. Er kündigte an, daß die an der erweiterten Regierung beteiligten Gruppierungen auch in die Delegation aufgenommen werden sollen, die am 13. und 14.Februar Modrow zu den Gesprächen mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn begleiten werde.
Neben der Regierungserweiterung beschloss die Volkskammer mit überwältigender Mehrheit ein Verbot der „Republikaner“ in der DDR. Einen Westimport ganz anderer Provenienz will der Runde Tisch, der ebenfalls gestern tagte, verhindern: Wahlkampfhelfer westlicher Parteien sollen im DDR-Wahlkampf Auftrittsverbot erhalten. Ebenfalls vor dem Runden Tisch machte Wirtschaftsministerin Luft einen unkonventionellen Vorschlag: Die DDR-BürgerInnen sollten Ende des Jahres über eine Einführung der D-Mark entscheiden. (Siehe Bericht S.2)
Der Volkskammerbeschluß gegen die „Republikaner“ wurde mit den verstärkten Aktivitäten von Neonazis und „Republikaner„n in der DDR begründet. Dies mache „sofortige Maßnahmen zum Schutz des Staates und seiner Bürger“ erforderlich. So seien in verschiedenen Städten Gewaltakte angedroht worden, die die demokratische Erneuerung des Landes „ernsthaft gefährdeten“. Das Verbot sei von der Verfassung der DDR gedeckt. Dem Beschluß war eine kurze Debatte vorausgegangen, in der sich mehrere Abgeordnete dafür aussprachen, statt eines Verbots durch das Parlament die Arbeit der „Republikaner“ gerichtlich untersagen zu lassen. Die Parteien am Runden Tisch hatten sich ebenfalls für ein solches Vorgehen ausgesprochen. Dagegen machte der Vorsitzende des Verfassungs- und Rechtsausschusses vor den Abgeordneten geltend, daß die rechtlichen Vorschriften für ein gerichtliches Verfahren erst erarbeitet werden müßten.
Unsicherheit herrscht auch über die Verbindlichkeit des
Runden-Tisch-Beschlusses, keine westlichen Wahlkampfredner in der DDR zuzulassen. Im Wahlgesetz jedenfalls ist ein
solches Verbot nicht vorgesehen. Der Beschluß wurde mit 22 gegen 10 Stimmen angenommen. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine Retourkutsche der kleineren
Oppositionsgruppierungen, die sich in der Frage des
vorgezogenen Wahltermins von der SPD überfahren fühlten.
Während vor allem CDU- und SPD-Vertreter für das West
-Rederecht stritten, vertrat Werner Schulz vom Neuen Forum Fortsetzung auf Seite 2
FORTSETZUNG VON SEITE 1
die Auffassung, mit der Westprominenz wollten manche Parteien über ihr „eigentliches Niveau“ hinwegtäuschen. Der Wahlkampf müsse zwischen den Kräften in der DDR stattfinden, die ihre eigene Identität finden sollten. Markus Meckel, Vorstandsmitglied der Ost-SPD, sagte, seine Partei werde sich nicht an den Beschluß halten. Zugleich bestätigte der Runde Tisch den Wahltermin am 18.März und lehnte einen Antrag des Neuen Forums ab, doch am 6.Mai wählen zu lassen. Das Neue Forum erklärte, die Übereinkunft über den Wahltermin sei nicht von allen Gruppen getragen worden. Schult vom Neuen Forum sagte, bei einer überstürzten Wahl werde nur „die alte Unfähigkeit durch neue Inkompetenz abgelöst“. Auch die anderen Parteien zeigten sich besorgt, wollten aber die Bürger durch eine erneute Verlegung nicht noch mehr verunsichern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen