Mit Geist gefüllt bis an den Rand

■ Empedokles stirbt, Hansgünther Heyme philosophiert

Heyme hat's geschafft. Endlich: Alle sehen zu ihm auf. In der Düsseldorf-Essener Co-Produktion Der Tod des Empedokles thront der Meister selbst in der Titelrolle in einem vom Bühnenhimmel heruntergelassenen Plexiglaskasten. Derart entrückt sagt er uns per Mikro die Verse auf, die uns der Frage nach dem Universum, dem Leben und all dem näherbringen sollen. Die Parallelen drängen sich auf: Empedokles im Ätna, Hölderlin im Tübinger Turm, Heyme im Glaskasten. Es ist geschehen! Den Sterbelichen gehör ich / Nun nimmer an! O Ende meiner Zeit! (Empedokles III, Vers 455/456)

Schon viele ehrgeizige Gemüter haben sich an Emnpedokles die Zähne ausgebissen. Spätestens seit Pierre Bertaux in seiner Studie Hölderlin und die Französische Revolution nachgewiesen hat, daß die tragische Dichtung wenig mit den vorchristlichen Zuständen in Sizilien, dafür aber um so mehr mit der zeitgenössischen Situation Hölderlins zu tun hat. Dessen Verhältnis zu den Jakobinern, seine Träume von einer schwäbischen Revolution und seine Verzweiflung über deren Scheitern verschlüsselte er in antiker Tragik. Jean Marie Straub drehte 1987 einen Film, in dem in Toga gewandete Laien, in griechische Landschaft gestellt, die Blüte deutscher Dichtkunst über lange Stunden daherleierten. Frank Patrick Steckel versuchte einstmals in der Kampnagelfabrik seine Hölderlindeutung, indem er gleich alle Fassungen auf einmal spielen ließ. Beides sehr zeitintensive Versuche.

Der Abend bei Heyme ist kürzer. Gemeinsam mit seinem Dramaturgen Hanns-Dietrich Schmidt verfuhr er nach der Devise 'aus drei mach eins‘ und verknappte den Monumentaltorso zu einem zweistündigen Rezitationstheater von furchterregender Kopflastigkeit. Da hilft nur die Flucht in intensives Textmitlesen, will man dem Geheimnis der dargebotenen Fassung auf die Spur kommen. Der starre Blick ins Programmheft lenkt von den Geschehnissen auf dem Bühnenboden nicht ab, denn dort passiert - bis auf einige wenige Momente - nichts. In einem Dressurakt sondergleichen läßt Heyme seine Schauspieler zu lebenden Statuen erstarren. Die fügen sich notgedrungen in das peinliche Übel und bewältigen die komplizierte Textflut souverän, besonders Mauela Alphons als Panthea und Peter Kaghanovitch als Pausanias. „Wie schützt man Schauspieler vor Regisseuren“, seufzt der Kollege neben mir.

Die Erstarrung: Sie ist Programmatik und Konzept von Heymes vergeistigter Hölderlininterpretaion, und verrät, wenn überhaupt etwas, Resignatives über des Schauspielerdirektors Sucht auf Künstler und Gesellschaft. Eiszeit auch im Bühnenbild: Wolf Vostell hat unter der neonerleuchteten Glaskanzel des Philosophen einen Halbkreis innen zubetonierter Kühlschränke arrangiert. Auf nicht näher zu bestimmende Stichworte klappen die Widersacher des Emedokles sie auf, und zwei agrigentinische Jungs stürmen mit Stemmeisen und Vorschlaghammer auf sie ein, hämmern und pickeln, daß es eine Freude ist, doch die versteinerten Verhältnisse bringen auch sie nicht zum Tanzen. Im Topact gelingt ihnen sogar ein Durchbruch. Hoch droben ruft der Meister nach dem lebendigen Geist, und die Jungs erhämmern ein Loch im Beton. Jetzt könnts‘ eigentlich ganz lustig werden, denn in den kältesten Kühlschränken brennen ja bekanntlich die heißesten Herzen, doch die Hoffnung trügt. Das Mauerloch schafft freie Sicht auf zwei flimmernde Fernsehmonitore. Was die Zuschauer mit nach Hause nehmen, ist Heymes Klage über die Einsamkeit des Denkers: Und wieder einsam, weh! Und wieder einsam? / Weh! Einsam! Einsam! Einsam! (Empedokles II, Vers 341/342).

Andrea Faschina