: „Ich will ihn nie wieder sehen“
■ Ein Gespräch mit Pol Pots Bruder Saloth Suong in Phnom Penh
Heute lebt der pensionierte Saloth Suong mit seiner Frau Chea Samy in einem staatseigenen Wohnblock in Phnom Penh in unmittelbarer Nähe des Diplomatenviertels. An den Ufern des Mekong gelegen, galt diese Gegend einst als vornehm. Heute ist sie schmuddelig und heruntergekommen. Eine bleibende Erinnerung an die von Pol Pot und den Roten Khmer verursachte Zerstörung.
Früher war sie eine berühmte Khmer-Tänzerin, heute unterrichtet Chea Samy am National-Kolleg der Künste. Der heute 74jährige Suong wurde als dritter Sohn eines Bauern in der zentralen kambodschanischen Provinz Kompong Thom geboren. Von seinen neun Brüdern und Schwestern leben noch fünf, und nun ist er der älteste Sohn. Als gläubiger Buddhist ist Suong zugleich ein beherzter Royalist, obwohl er sich selbst als unpolitisch bezeichnet. Von 1936 bis zum Lon-Nol-Putsch, der von den USA unterstützt wurde und den damaligen kambodschanischen König Sihanouk entmachtete, arbeitete er am königlichen Hof - zunächst als Diener und dann in der Protokollabteilung. Suong avancierte zu einem Experten traditioneller Khmer-Kostüme und Tanztechniken. Selbst heute wird er noch von der kambodschanischen Regierung um Rat gefragt, wenn es darum geht, offizielle Kulturveranstaltungen für Besucherdelegationen zu organisieren.
Bis 1975, als die Roten Khmer die Macht übernahmen, lebte Saloth Suong in Phnom Penh. Wie Tausende der Stadtbewohner zwang man dann auch ihn zur Rückkehr in sein 160 Kilometer entferntes Heimatdorf. Drei Jahre lang litt Saloth Suong zusammen mit den übrigen Dorfbewohnern. Er wurde Zeuge des Todes von unzähligen Freunden und Verwandten. „Ich hatte mehr Glück als viele andere“, reflektiert Suong, der damals als Küchenhilfe arbeitete, „aber ich bekam die gleichen mageren Reisration wie alle übrigen auch. Über zehn Jahre hatte ich geglaubt, mein Bruder Saloth Sar sei tot“, erzählt Suong, „im Widerstand gefallen.“ Dann im Jahre 1978 fiel sein Blick auf ein neues Regierungsposter an der Wand des Dorf-Speisesaals. Seite an Seite mit Kim Il Sung und Mao Zedong stand da sein lang vermißter Bruder: Pol Pot. Ungläubig starrte Suong auf das Plakat. „Er lebte, ich war zutiefst schockiert und traurig“, sagte Suong. „Tagelang stand ich unter Schock, aber meine Freunde leisteten mir Beistand.“ Doch auch nachdem sich herumgesprochen hatte, wer sein Bruder war, veränderte sich nichts. Weder erhielt er Extraportionen, noch wurde er nach Phnom Penh zurückgesandt. „Noch immer kann ich nicht glauben, daß mein Bruder für das Töten und für all die Grausamkeiten persönlich verantwortlich war“, sagt er. „Als Junge hätte er keiner Fliege etwas zuleide getan.“
In Erinnerung an seine Kindheit spricht Suong noch immer bewegt von seinem kleinen Bruder: „Wann immer er zum Einkaufen auf den Markt ging, brachte er mir etwas Besonderes mit, eine Mango oder andere Früchte, die ich gerne aß. Als Pol Pot klein war, war er wirklich ein sehr guter Junge; niemals stritt er, und in der gesamten Nachbarschaft war er überaus beliebt“, erinnert sich Suong. „Sie können jeden fragen, der ihn gekannt hat.“ Als die Familie aus ihrem Dorf Kompomg Thom nach Phnom Penh umzog, leitete Pol Pot als Mönch für ein Jahr und drei Wochen die örtliche Pagode.
Mit einem Regierungsstipendium ging er danach zum Studium nach Paris. Suong glaubt, die schlechte Gesellschaft in Paris hätte ihn verdorben. Dort sei er mit Fremden in Kontakt gekommen - und mit dem Kommunismus. Speziell der chinesische Einfluß mache sich bemerkbar. Saloth Suong ist dankbar für die Invasion der Vietnamesen im Jahre 1979, die dem Schrecken der Roten Khmer ein Ende setzte. Obwohl er der Bruder Pol Pots ist, haben seine Nachbarn ihn dies nie spüren lassen. „Niemand war mir deshalb feindlich gesonnen“, sagte Suong. Seit den fünziger Jahren hat er Pol Pot nicht gesehen. „Ich will ihn nie wieder sehen“, sagte Suong nachdrücklich. „Er muß die Verantwortung für den Völkermord übernehmen und exekutiert werden.“
Larry Jagan
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