piwik no script img

Leipziger Montagsdemo marschiert auf den Wahlkampf zu

Weiterhin überwiegen Vereinigungsforderungen / Reps werden zuerst verfolgt und dann angehört  ■  Aus Leipzig Antje Bauer

Sie sehen aus wie Kartoffelverkäufer, die beiden jungen Männer, die da breitbeinig auf der heruntergelassenen Laderampe eines Lastwagens stehen. Doch aus Lautsprechern dröhnt der bekannte Schlager „Berlin Berlin“, und in die Flüstertüte brüllen die beiden politische Propaganda. „Wer am 18. März nicht wählt, der gibt seine Stimme den Rechten und den Linken“, warnen sie. „Wählt LDPD, die Partei der Mitte!“ Doch die Menge, die an ihnen vorbeizieht, würdigt sie kaum eines Blickes.

Auf der Leipziger Montagsdemo mit diesmal wieder über 100.000 TeilnehmerInnen hat der Wahlkampf bereits begonnen. Schon bei der Kundgebung vor dem Umzug hatten VertreterInnen des Neuen Forums und der SPD Reden gehalten, für die nächsten Montage waren VertreterInnen der anderen Parteien angekündigt worden. Die Rednerin des Neuen Forums hatte sich vom fahnenschwingenden Block vor der Tribüne ausbuhen lassen müssen, als sie zu bedenken gegeben hatte, der schnellste Weg zur Wiedervereinigung müsse nicht unbedingt der beste sein. „Die Linken sind wieder zu Hause geblieben“, kommentiert resigniert eine Frau.

Flugblätter der politischen Parteien werden verteilt. Doch das Publikum ist noch nicht so recht auf Wahlkampf eingestellt. „Wir sind das Volk - schwarz-rot-gold!“ ruft die Menge, die ihre propagierten Lieblingsfarben in Wollmützen auf dem Kopf trägt. „Gysi raus!“ und „Erich in den Strafvollzug“ wird in Sprechchören gefordert.

Die Aufmerksamkeit, die den beiden Männern auf der Lastwagenladerampe versagt bleibt, wird stattdessen einigen Reps zuteil, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite demonstrativ ein Transparent entfalten: „SEDPDSSPD. Darum: Republikaner“. Aus der vorbeiziehenden Menge ertönen massive Pfiffe, „Nazis raus“, fordern die DemonstrantInnen. „Ihr seid das Letzte!“ brüllen sie. Eine Gruppe trennt sich vom Zug und verfolgt die Reps in eine Seitengasse. Doch nachdem deren Transparente unter lautem Krachen das Zeitliche gesegnet haben, beginnt die Diskussion. Knapp eine Stunde später, als der Demozug sich bereits aufgelöst hat, steht die Menschentraube noch immer dort. Der junge Mann, der sich zuvor noch lautstark über die Reps aufgeregt und ihren Abzug gefordert hatte - zumal ja am selben Tag ihr Verbot beschlossen worden war -, hat inzwischen einen gemeinsamen Feind ausgemacht.

„In Königsberg werden die Deutschen unterdrückt. Und zwar gerade von den Polen, die nur neidisch sind, weil die Deutschen besser arbeiten“, erklärt ein junger Rep mit bayrischem Akzent, und sein Gegner von vorhin sekundiert: „Vor zweihundert Jahren hat ein Staatsmann gesagt, um die Polen kaputtzukriegen, muß man ihnen nur eine eigene Regierung geben.“ Die LeipzigerInnen nicken zustimmend. Als die Reps schließlich abziehen, nicht ohne zuvor ihre baldige Rückkehr versprochen zu haben, lassen sie nachdenkliche AntifaschistInnen zurück. Im Ressentiment gegen die östlichen Gäste sind in den Reps offenbar UnterstützerInnen zu finden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen