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Atomfabrik vertreibt Hüttendorf

Ernst Albrechts Polizisten haben gestern den besetzen Bauplatz der Pilotkonditionierungsanlage Gorleben geräumt Nach der Polizei kamen die Holzfäller und die Baufahrzeuge / Oberverwaltungsgericht Lüneburg beriet noch über vorläufigen Baustopp  ■  Aus Gorleben Jürgen Voges

Mit einem Aufgebot von 2.000 Polizisten hat die niedersächsische Landesregierung gestern den besetzten Bauplatz der Pilotkonditionierungsanlage (PKA) Gorleben geräumt. Während das Oberverwaltungsgericht Lüneburg noch bis nachmittags über einen vorläufigen Baustopp für die PKA beriet, begannen am Mittag in dem Kiefernwald hinter dem Gorlebener Zwischenlager bereits die Bauarbeiten für die Konditionierungsanlage. Das Gericht lehnte einen Baustopp mit der Begründung ab, die Arbeiten seien noch kein Vollzug der atomrechtlichen Genehmigung. Die DWK beginne mit den eigentlichen Bauarbeiten erst am 19.2. Der größte Teil der Besetzer hatte angesichts der Übermacht der Ordnungskräfte schon um 9.15 Uhr von sich aus das Hüttendorf im Wald verlassen, um anschließend den ganzen Tag in Lüchow gegen die Räumung zu demonstrieren. Nur 20 ältere Mitglieder der BI Lüchow-Dannenberg ignorierten ein Ultimatum der Polizei und harrten am Lagerfeuer des Hüttendorfes aus. Um halb eins schließlich trug oder geleitete die Polizei auch die lauthals protestierenden Anti-AKW-Rentner vom Bauplatz.

Über den Anmarsch der Schutzpolizei aus allen Teilen Niedersachsens hatten die 300 Bewohner des Hüttendorfes bereits am späten Montag abend Informationen erhalten. Nach Angaben der AKW-Gegner hielten dann ab 4.30 Uhr über 200 Polizeifahrzeuge, darunter auch Wasserwerfer, schweres Räumgerät und Panzerwagen, auf dem Gelände des Gorlebener Zwischenlagers und des Endlagerbauplatzes Einzug.

Im Morgengrauen schoben sich dann hinter dem Wall des Zwischenlagers gegenüber dem Eingang des Hüttendorfes eine Hebebühne mit Lautsprechern und ein Beobachtungsposten der Polizei in die Höhe. Zunächst verkündete die Einsatzleitung der Polizei, daß sie „das Hüttendorf als Ausdruck der versammlungsrechtlichen Gestaltungsfreiheit“ betrachte, verlangte dann aber doch die Räumung, da von den Besetzern seit dem Wochenende Straftaten wie Landfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung ausgegangen seien. Die eigentliche Räumungsverfügung, die danach unter dem Hohngelächter der Besetzer mehrmals verlesen wurde, begründete der Landkreis Lüchow-Dannenberg mit der „fehlenden Baugenehmigung“ für die „mindestens 40 Hütten und Zelte“ auf dem PKA-Gelände. Um 7.32 Uhr schließlich setzte die Einsatzleitung den Besetzern eine zweistündige Frist zum freiwilligen Verlassen des Hüttendorfes.

Über eine Stunde lang diskutierte das Besetzerplenum kontrovers über das Ultimatum. Das Angebot von 20 älteren AKW-GegnerInnen, allein auf dem Platz zu bleiben, wurde dann angenommen. „Wir sind der Schlacht, die die Polizei führen wollte, bewußt ausgewichen und haben das überdimensionierte Polizeiaufgebot ins Leere laufen lassen“, begründet später ein Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg den freiwilligen Abzug der Mehrheit der Besetzer. Diese AKW-Gegner verließen kurz vor Ablauf des Ultimatums den Gorlebener Wald, organisierten einen Autokorso nach Lüchow und blockierten dort stundenlang die Hauptstraße.

Die 20 älteren BürgerInnen aus Lüchow-Dannenberg, die dann allein auf dem Bauplatz die Stellung hielten, ließen sich allerdings auch mit guten Worten nicht zum freiwilligen Verlassen des Bauplatzes bewegen. Über eine Stunde diskutierte der Einsatzleiter der Polizei mit den Alten, die ihm Stasi-Methoden vorwarfen und sich auf die Verantwortung für die Zukunft ihrer Enkelkinder beriefen. Selbst ein Polizeipastor, dessen Schulterklappen das christliche Kreuz zierte, gab nach einiger Zeit das Gespräch mit den Alten frustriert auf.

Um 11.45 Uhr begannen dann finnische Waldarbeiter die dünnen Kiefern auf dem Baugelände in rasantem Tempo umzusägen. Über dem Eingang des Hüttendorfes hing immer noch ein Transparent der Grünen Partei Leipzig: „Dem Schutz heutiger und kommender Generationen vor der Atommafia“.

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