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Fremde Heimat

■ „Heimisch in England“ - Eine Tagung des British Council mit englischen Autoren und Autorinnen

Bernhard Robben

Christopher Hope sagt: „Mir gehen die Diktaturen aus.“ Er blickt etwas bekümmert drein. „Ich hatte auf Rumänien gehofft, und eine Zeitlang sah es ja ziemlich gut aus. Aber jetzt bleibt mir wohl nur noch Albanien oder China.“ Mag sein, er lächelt ein wenig, wenn er das sagt. Christopher Hope ist Südafrikaner und Schriftsteller. Sein erster Roman wurde vom Apartheidregime verboten, und seit 1975 lebt Hope in London. Aber erst als er vor einigen Jahren Ost-Berlin besuchte, fühlte er sich an sein Heimatland erinnert. „Ich spürte, daß ich belogen wurde, ich sah den Strich des Zensors beim Lesen der Zeitungen, ahnte den Terror und die Angst. Ich entdeckte Heimat, wo ich sie nicht erwartet hatte.“ Hinter dem Wort „Heimat“ muß sich schließlich nichts Heimeliges verbergen. Aber kann ihm, dem britischen Schriftsteller, England überhaupt ein Zuhause sein?

„Heimisch in England?“ - Unter diesem Thema trafen sich Ende Januar auf Einladung des British Council einige britische Schriftsteller mit deutschsprachigen Akademikern, Verlegern, Übersetzern und Journalisten in einem Dörfchen in der Nähe von Köln. Drei Tage lang lasen Angela Carter, Anne Devlin, Caryl Philipps, Christopher Hope und Amryl Johnson aus ihren Büchern und diskutierten mit ihren Zuhörern. Und alle hatten sie so ihre Probleme mit den Worten „Heimat“ und „nationale Identität“.

Dabei hätte man noch vor zehn Jahren mühelos unter den Schriftstellern in England eine anglozentristische Selbstgewißheit ausmachen können. Man war britisch, und man dachte nicht sonderlich darüber nach. Man lebte und schrieb im Schatten der Tradition und fühlte sich als Gralshüter der Sprache Shakespeares. Aber Gefühle können täuschen. Jahrzehntelang schottete sich die englische Literatur gegen alle internationalen Einflüsse ab. Warum den nouveau roman übersetzen, wenn man doch zu T.S.Eliott oder James Joyce greifen kann? (Der Ire Joyce dankt und der arme Ami Eliott dito; d.S.) Die Moderne? Ach Gott, die ist schon lange vorbei. Man sprach über die experimentelle Phase der zwanziger Jahre im überheblichen Ton liebevoller Eltern, die sich an die tollen Streiche ihrer Kinder erinnern. Und wie eben diese Kinder den zu kurzen Hosen, so glaubte man sich der avantgardistischen Literatur entwachsen. Man schrieb gediegen. Man schätzte das Handwerk, den Plot, die Unterhaltung, den gepflegten Stil. Auch die angry young men der fünfziger Jahre änderten daran wenig. Die kamen aus der Arbeiterklasse und forderten ihren Room at the Top, ihren Platz in der Mittelschicht. Und hatten sie den einmal erreicht, fiel zumeist aller Ärger, alle Aggressivität von ihnen ab, und mehr oder minder zufrieden schwammen sie im mainstream der englischen Literatur. Wer sich in jener Zeit außerhalb des Inzestkreises Autor -Verlag-Feuilleton überhaupt für britische fiction interessierte, der konnte leicht den Eindruck gewinnen, als sei das United Kingdom von den Koordinaten Eton, Oxford -Cambridge und London/Bloomsbury umgrenzt.

Heute könnte man in Großbritannien zwei Gruppen von englischsprachigen Schriftstellern unterscheiden: die britischen Fremden und die fremden Briten. Zur ersten Gruppe zähle ich die, denen England nie eine selbstverständliche Heimat war, die Inder, Pakistani, Jamaikaner, Chinesen, Afrikaner, die vielleicht im „Mutterland“ geboren und dort auch erzogen wurden, die aber allein durch ihr Aussehen dem alltäglichen Rassismus der natives, der weißen Engländer ausgesetzt sind. Zu den fremden Engländern würde ich einerseits jene zählen, die sich mit einer Art weißen Rassismus konfrontiert sehen. Man erkennt sie, sobald sie den Mund aufmachen. Ihr Akzent stempelt sie zu zweitklassigen Briten, zu Nordiren, Schotten oder zu Angehörigen der sozial niederen Schichten. Andererseits gehören zur gleichen Gruppe auch die Engländer, die sich ihrer Herkunft entledigen wollen. Sie nennen sich Europäer oder Kosmopoliten und wehren sich gegen das Etikett „englischer Schriftsteller“, als wollte ihnen jemand das „A“ für adultery aufs Hemd nähen. England, so scheint es, ist ein Land, in dessen Mitte sich nur noch die übriggebliebenen Schriftsteller einer früheren Epoche aufhalten, die außerhalb Englands sowieso niemand besonders ernst nimmt (um mich nicht um Namen zu drücken, seien Margaret Drabble, Iris Murdoch, Kingsley Amis oder Anita Brookner genannt). An den Rand der Nation, an die Grenzen des Englischen treibt es die heutigen Schriftsteller; sie coasten, wie Jonathan Raban es einmal so unübersetzbar zutreffend nannte, sie sind im Niemandsland zwischen Ausland und Inland, jenseits der Zollkontrolle, irgendwo im Duty free.

So hält sich Anthony Burgess für einen Europäer irischer Abstammung, Angela Carter für eine schottische Japanerin, ist Martin Amis Wunschamerikaner und Julian Barnes Wahlfranzose. Die Literaten üben Spagat. Mit dem Standbein sichern sie sich ihren Platz in London und den Feuilletonseiten der wichtigen Zeitungen. Dort bringen sie sich dem Publikum in Erinnerung, signieren einige Bücher, lassen sich beim Verleger sehen und pflegen die Kontakte. Ihr Spielbein aber tummelt sich jenseits der Grenzen der vormals splendid isolation.

Außer dem südafrikanischen Briten Christopher Hope waren zum Wochenende in der Nähe von Köln noch die Nordirin Anne Devlin, die in Trinidad geborene Lyrikerin Amryl Johnson und die Romanautoren Angela Carter aus Sussex und Caryl Phillips aus St.Kitts/Westindische Inseln geladen.

Die Nordirin Anne Devlin schreibt für das Theater und veröffentlichte vor kurzem ihren ersten Prosaband. Sie ist in Belfast geboren, und sie ist Katholikin. „Sehr bald merkte ich“, erzählt sie, „daß ich eine Fremde in meinem eigenen Land war. Ich war keine Irin, weil ich im Norden geboren war; ich war keine Nordirin, weil ich Katholikin war; ich war keine Engländerin, weil meine Sprache, mein Name, mein Akzent mich verriet.“ Um für sich eine Art Heimat zu schaffen, mußte sie das Land verlassen, in dem sie aufgewachsen war. Heute lebt sie in Birmingham, der Stadt Englands mit dem größten Anteil von Iren, Asiaten, Indern und Pakistani.

Caryl Phillips ist im Alter von wenigen Monaten mit seinen Eltern nach England ausgereist. Er ist Schwarzer. In England ist er ein Carribean, ein wog, ein black bastard. Als erwachsener Mann kehrte Caryl Phillips in seine „Heimat“ auf die Westindischen Inseln zurück. Man verachtete ihn, den „Engländer“. Seitdem teilt Caryl Phillips sich sein Leben zwischen St.Kitts und den Karibischen Inseln und London. Mit dem Wort „Heimat“ kann er nicht viel anfangen, es beschreibt für ihn höchstens einen Platz im Flugzeug von British Airways.

Mehr und mehr wird die englischsprachige Literatur von Autoren dominiert, die - oder deren Eltern - nicht auf dem mainland, im englischen Mutterland geboren wurden. Für sie ist Heimat kein Ort, der sich an ein bestimmtes Land bindet. Sie leben zwischen den Ländern, im Akt des Übersetzens. „Heimat“, zitierte Caryl Phillips in Köln Kazuo Ishiguro, Engländer aus Nagasaki, „ist etwas für den, der keinen Mut zur Fremde hat.“ Vielleicht war Ishiguro entgangen, daß erst vor wenigen Wochen der Bürgermeister von Nagasaki von einem rechtsradikalen Japaner angeschossen wurde. Der Bürgermeister, behauptete der Attentäter, habe dem Kaiser Hiroitho dessen aktive Unterstützung für die Faschisten vorgeworfen und damit das Andenken an seine Heiligkeit beschmutzt. Es scheint mir, als brauche man in Japan nicht nur für Fremde einigen Mut.

Angela Carter, bei der man noch am ehesten vermuten könnte, daß sie sich mit den Worten „britische Schriftstellerin“ identifizieren würde, fällt es nicht leicht, ihren Freunden aus dem Urlaub eine Postkarte zu schicken, auf der Great Britain oder United Kingdom steht. Ihr Vater, sagte sie, sei Schotte gewesen und dadurch sei ihr Blick auf das Englische eigentlich immer der Blick einer Fremden, einer Nichtdazugehörenden gewesen. Außerdem hätte sie mit neunundzwanzig ein Reisestipendium nach Japan gewonnen. Mehrere Jahre wäre sie dort geblieben, und diese Erfahrung habe sie zutiefst beeinflußt. Zuhause, das sei für sie ein Netz von Freunden und von sozialen Verflechtungen, das sich prinzipiell überall knüpfen lasse. Selbst wer also im Herzen des Landes, in Sussex, geboren wurde, bemüht Vater, Großmutter oder die Tradition, um sich von dem Ruch des Englischen zu befreien. Aber wenn Angela Carter (oder Martin Amis, Julian Barnes, Graham Swift etc.) gerne eine Kosmopolitin sein möchte und damit kokettiert, wie very un -English sie sei, dann ähneln solche Sätze nur scheinbar den Gründen, die Anne Devlin oder Caryl Phillips von Heimatlosigkeit sprechen lassen. „Soll ich etwa auf Knien durch mein Leben rutschen, weil die Engländer einstmals die halbe Welt beherrschten?“ fragt Angela Carter rhetorisch, trotzig und letztlich vielleicht auch ein wenig beschämt. Dem deutschen Publikum war diese Reaktion auf die Frage nach der persönlichen Verantwortung an der Historie nicht unbekannt.

Literatur versucht, das Wort in seinen Bedeutungen an die Grenze zu treiben. Aus der unhinterfragten Sinnmitte drängt sie an den emotiven und assoziativen Rand des Unsagbaren. Nach jahrelanger Starre lebt die englische Literatur unter der Konfrontation mit dem eigenen Fremden wieder auf. Siedler und Eingeborener, der alte Konflikt wird nicht mehr in Birma oder Indien, sondern im Heimatland ausgetragen. Beide Gruppierungen reflektieren ihr Geschick, stehen sich gegenüber wie Spiegel, in denen sie die Bilder ihrer Identität wiederholen, brechen, verzerren und seitenverkehrt wiedergeben. Der englische Fremde und der sich fremd fühlende Engländer, beide sind sie ein Ergebnis des endgültigen Zusammenbruchs des britischen Kolonialreiches. Denn was für den „Kontinent“ der Zweite Weltkrieg war, das ist Margaret Thatcher für England.

Das alte Empire verfiel, nach und nach wurden die Kolonien unabhängig. Eine Welt, die zu einem guten Drittel britisch war, ging unter. Aber der Schock, den solcherlei Untergänge auszulösen pflegen, wurde gerade rechtzeitig vom Gegenschock des Zweiten Weltkrieges gemildert. Der Sieg über die faschistische Gefahr bestätigte die Nation in ihren Werten und Auffassungen. Zeigte die Niederlage Hitlers nicht, wer der Stärkere, der Bessere war? Warum also hätte man etwas oder sich ändern sollen? Welche Geschichte galt es in Frage zu stellen oder aufzuarbeiten? Die Geschichte wurde verdrängt. Natürlich wußte man, daß das alte Empire nicht mehr existierte, doch mit dem Königshaus Windsor im Blick, den Bowler auf dem Kopf und der 'Times‘ in der Hand, wer hätte da schon einen Unterschied ausmachen können? „Das Problem mit den Engländern ist, daß ihre Geschichte im Ausland passierte“, schreibt Salman Rushdie in den Satanischen Versen, „deshalb wissen sie nichts davon.“ Aber wie alles Verdrängte, so kehrt auch die Geschichte wieder.

Erst in den Jahren der Thatcher-Regierung brach das liberal -aristokratische Selbstverständnis zusammen. Thatcher, Tochter eines Kleinkrämers, mißtraut den Intellektuellen, den gebildeten Oberhauspolitikern, der alten Mittelklasse, auf deren Schultern die Verwaltung des ehemaligen Riesenreiches geruht hatte. Noch einmal sei der Schriftsteller zitiert, den der Konflikt zwischen Fremde und Heimat, in die Mitte Englands und hinter alle Spiegel getrieben hat, Salman Rushdie. Er schreibt über Margaret Thatcher: „Sie will - und sie glaubt verflucht nochmal, sie schafft es - eine ganze gottverdammte Mittelklasse für dieses Land erfinden. Weg mit den alten Wirrköpfen und den Scheißern..., der alten Klasse, diesen Halbtoten..., und her mit den Leuten ohne Geschichte und ohne Erfahrung, den hungrigen Leuten. Auch die Intellektuellen. Weg mit der ganzen schwulen Bande. Und her mit den gierigen Typen, den neuen Professoren, neuen Malern, die ganze Bagage.“ Ihre Revolution ist erfolgreich. Die intellektuelle Mittelschicht sieht sich aus der Mitte entlassen, und die Mitte selbst ist verschwunden. Es bleiben nur noch die Ränder, die Gegensätze, Yuppies und Neureiche hier, Arbeitslose dort. Schottland und Wales hier, London dort. Einer Nation fehlen die Worte, die sagen könnten, wer sie ist. Sie fährt ins Ausland, sieht zurück und traut ihren Augen nicht. Was ist aus diesem kleinen Land geworden, das es jahrhundertelang für selbstverständlich hielt, überall in der Welt zu Hause zu sein und sich nun wundert, daß die Welt ihm einen Gegenbesuch abstattet? Die Geschichte kehrt wieder. Und wohlgemerkt, es kommen keine Ausländer, es kommen Engländer nach England. Oft wurden die Inder und Pakistani an englischen Schulen in Indien oder gar in Oxford und Cambridge erzogen. Ihre Kultur ist mehr als hundert Jahre lang von der englischen Kultur dominiert worden. Die Westindischen Inseln hatten nie die Chance, eine eigene kulturelle Identität zu entwickeln. Sie lebten bis zu ihrer Unabhängigkeit in einer Imitation, sie simulierten das andere Inselreich und lebten mit ihm, wie Roger Rabitt und Bob Hopkins. Früher hatte jedes Mitglied eines Commonwealth -Landes ein Anrecht auf einen britischen Paß, heute unterscheidet Großbritannien kleinlich zwischen Engländern und Engländern, zwischen denen, die im Mutterland wohnen und denen, die zum Beispiel in Hongkong wohnen. Engländer erster Klasse, Engländer zweiter Klasse. Und der Rassismus bestimmt das Bild in den Straßen Londons.

Hanif Kureishi, der durch seine Filme Mein wunderbarer Waschsalon und Sammy und Rosie tun es bekannt wurde, erinnert sich: „Die Rassisten gewannen Zulauf. Sie beleidigten mich auf offener Straße. In einem Cafe weigerte sich jemand, mit mir am gleichen Tisch zu essen. Die Eltern eines Mädchens, das ich liebte, sagten ihr, sie bekäme einen schlechten Ruf, wenn sie mit Darkies ausgehen würde. Manchmal hörte ich, wie man erregt, gar wütend, über diesen Menschenschlag, über die Pakis redete. Ich war dann fürchterlich verlegen und hatte Angst, man würde mich für einen von diesen verhaßten Fremden halten. Es war mit fast unmöglich, die Frage nach meiner Herkunft zu beantworten. Das Wort Pakistani war zu einem Schimpfwort geworden. Es war ein Wort, das ich nicht auf mich angewandt wissen wollte. Ich konnte es nicht ertragen, ich selbst zu sein.“

Hanif Kureishi ist fremd in Pakistan und fremd in England. Er schreibt über beide Länder und an beide Länder stellt er die Frage: Ist dies meine Heimat? Er kann die Frage nicht beantworten, aber er kann auch nicht aufhören, sie immer wieder zu stellen.

„Heimat“ ist ein ungenaues Wort. Jeder meint zu wissen, was damit gemeint ist, aber keine zwei könnten sich auf eine gemeinsame Bedeutung einigen. Auf dem Schriftstellertreffen in Köln forderte das deutsche Publikum dann auch, man solle erst einmal analysieren, was mit diesem Wort eigentlich gemeint sei. Schließlich handele es sich dabei um einen Begriff aus dem 19.Jahrhundert, und es sei längst nicht gewiß, ob dieses Wort heute noch sinnvoll sei. Wer könnte diese Sehnsucht nach einer rationalen Analyse nicht verstehen? Wie schön wäre es doch, wenn man dem Emotionalen, dem Irrationalen, das hinter diesem Wort lauert, die rationale Zwangsjacke anlegen könnte. Dabei sollten die politischen Veränderungen der letzten Monate in Europa vorsichtig machen. Polen, Ungarn, Rumänien, DDR, läßt sich auch einem dieser Länder der Nationalismus fortdenken? Lassen sich die Revolutionen überhaupt ohne die emotionale Kraft des Nationalismus verstehen? Dokumentation und Analyse waren seit dem Zweiten Weltkrieg einer der typisch deutschen Wege der Verdrängung, eine Ersatzhandlung, die die Unfähigkeit zu trauern zementierte. Natürlich soll hier nicht gegen die Analyse oder Dokumentation gesprochen werden, keine Rede, aber es gibt bestimmte Worte, die erinnern an Gedichte. Man kann die natürlich links liegen lassen (und genau das macht die Linke), man kann sich aber auch auf sie einlassen, sie lesen, erfahren, analysieren. Man muß sich den Gefühlen und die Erinnerungen stellen, sonstliest man das Gedicht nicht. Und kein gutes Gedicht wird jemals seine endgültige Analyse finden. Es gibt doch andere Möglichkeiten, als „Heimat“ und Rufe wie „Deutschland - einig Vaterland“ nur zu tabuisieren. Hinter diesen Worten verbirgt sich eine Sehnsucht, eine Kraft, die unter der Linken in Deutschland bisher keinerlei diskursives Feld finden kann. Wer solcherart Gefühle kennt, der hat nur Worte dafür, die nach „rechtsradikal“ und „faschistisch“ schmecken. Deshalb aber muß nicht gleich das Gefühl defizitär sein, es könnte auch an den fehlenden Worten liegen. Das sollte sich ändern, das wird sich auch ändern, denn der deutsch-deutsche Kulturschock hat seine Sprache noch nicht gefunden. Ein ähnlicher Prozeß wie er sich in England abzeichnet, könnte auch für die deutsche Literatur fruchtbar werden, der deutsche Fremde im Gespräch mit dem fremden Deutschen. Schließlich ist „Heimat“ nicht etwas, das im Gestern liegt. Man geht nicht zurück, will man an diesen Ort gelangen. Historisieren wir in die Zukunft, vielleicht „entsteht (dann) in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“, schrieb Ernst Bloch.

Am Ende kann es sein, daß man nur in Diktaturen findet, was an Identität, Gemeinsamkeit und Heimat erinnert. Mag sein, daß sie den Boden abgeben, von dem aus man schreiben muß. Dann geht es uns wie Christopher Hope. Aber nichts wird bleiben wie es ist, mit dieser Hoffnung sei abschließend noch einmal Salman Rushdie zitiert: „Ich gebe zu, daß wir uns ändern werden, wir Afrikaner, Jamaikaner, Inder, Pakistani, Bangladeshi, Zyprioten und Chinesen, wir sind andere geworden, andere als die, die wir gewesen wären, hätten wir nicht die Meere überquert, hätten unsere Eltern nicht den Himmel überflogen auf der Suche nach Arbeit und Stolz und einem besseren Leben für die Kinder. Wir sind neu geboren worden, aber ich sage euch, wir werden auch diejenigen sein, die diese Gesellschaft neu erschaffen, die sie von Grund auf neu errichten.“

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