: Auf welchem Weg zum effektiven Markt?
Dr. Karel Kouba über Chancen einer Wirtschaftsreform in der Tschechoslowakei ■ D O K U M E N T A T I O N
Das Interview mit Dr. Karel Kouba (63), aus dem die folgenden Auszüge stammen, erschien in der Dezember -Doppelnummer der Prager Wirtschaftszeitung 'Hospodarske noviny‘. Kouba war Ende der 60er Jahre Direktor des Instituts für Ökonomie der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. 1988 wurde er an das Prognostische Institut in Prag berufen.
Länder wie Polen, Ungarn und die Sowjetunion, die mit den wirtschaftlichen Reformen schon begonnen haben, erzielten bisher nicht die erwarteten Ergebnisse. In Polen und der Sowjetunion ist die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft sogar schlechter geworden. Eine solche Entwicklung muß nicht zwangsläufig sein.
Vorausgeschickt: Die sinkende Leistung dieser Wirtschaften ist nicht ausschließlich das Erbe der Vergangenheit. Sie hat sich vor allem in den letzten beiden Jahren bemerkbar gemacht und liegt auch nicht daran, daß es sich um Teilreformen handelt. Die Hauptursache der Schwierigkeiten liegt wohl in der mangelhaften Beherrschung der Übergangsstrategie von der sozialistischen zur Marktwirtschaft. Die Hauptgefahr für die teilreformierten Wirtschaften ist in der Verletzung des Prinzips des „gesunden Geldes“ zu sehen, d.h. in der unbegründeten Emission von Geld. Diese ist übrigens für jede Wirtschaft gefährlich. Ohne „gesundes Geld“ und strenge finanzielle Disziplin kann man wirksame System- und Strukturveränderungen nicht durchführen.
Es wird oft behauptet, daß die Tschechoslowakei für diesen Umbau über bessere Voraussetzungen verfügt. In diesem Zusammenhang spricht man von einer verhältnismäßig geringen Auslandsverschuldung. Sie beträgt etwa sieben Milliarden Dollar. Das ist erträglich, auch was die Tilgung anbelangt. Ihre Belastungen sind in dieser Hinsicht wesentlich geringer als z.B. die Polens oder Ungarns. In anderer Hinsicht ist sie aber in der gleichen Situation: Die Konkurrenzfähigkeit der tschechoslowakischen Produkte auf den anspruchsvollen Auslandsmärkten ist gesunken. Auf diese Märkte gelangen nur etwa 16 Prozent der Produktion, teilweise mit staatlichen Subventionen. Etwa ein Fünftel der Betriebe kann ihre Position auf diesen Märkten auch ohne Subventionen behaupten. Ihre Konkurrenzfähigkeit wird allerdings durch die Umverteilung wirtschaftlicher Ergebnisse auf die, die nicht Schritt halten können, beeinträchtigt. Sie hat aber immer noch sehr qualifizierte Arbeiter und Techniker, die bei entsprechender Motivierung ihre Fähigkeiten besser realisieren könnten. Und es bestehen auch vergleichsweise günstigere Voraussetzungen dafür, die sozialen Folgen wirtschaftlicher Reformen aufzufangen.
Eine weitere wichtige Grundlage für einen Übergang zur Marktwirtschaft ohne größere Erschütterungen liegt in der traditionellen Stärke des tschechoslowakischen Bankwesens und seinem Stellenwert in der Gesamtwirtschaft. Auch eine gewisse Kultur des ökonomischen Denkens hat sich erhalten. Man muß sich erinnnern, nach dem Ersten Weltkrieg war die Tschechoslowakei das einzige Land in Mitteleuropa, in dem es keine Hyperinflation gab. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Währungsreformen einigermaßen gelungen. Die Reform der sechziger Jahre knüpfte an diese Tradition an. Schon damals wurde vorgeschlagen, die Konzeption einer Monopolbank aufzugeben, eine Notenbank zu gründen und ein Netz von Kommerzbanken aufzubauen. Das soll nun realisiert werden.
Die Spareinlagen der Bevölkerung betragen etwa 270 Milliarden Kronen. Das Vertrauen in die Landeswährung muß z.B. durch einen realen Zinssatz gestärkt werden. Die unterdrückte Inflation ruft Defizite auf dem Inlandsmarkt hervor, ist aber beherrschbar.
Eine Inflationsrate von zehn und mehr Prozent kann hoffentlich vermieden werden.
Die Reform ab 1.1.1990 wurde bereits mehrfach kritisiert, weil sie mit einigen Mängeln behaftet ist. Es sind genaue Überlegungen bezüglich des Kerns der Strategie, der Folgen von Reibungen bei den einzelnen Schritten und der benötigten Zeit anzustellen.
Die Grundbedingungen sind „gesundes Geld“, ausgeglichener Staatshaushalt, in Ordnung gebrachte Wechselkurse und Preise, Beseitigung des staatlichen Monopols, Öffnung der Wirtschaft und vielfältige Eigentumsformen. Restriktive Geldpolitik und strenge Finanzdiszplin können das Entstehen eine Ungleichgewichtes in der Übergangsphase zur effektiven Marktwirtschaft verhindern. Empfohlen wird, den Betrieben den Zugang zu Geld zu erschweren. Eine gewöhnliche Geldverteuerung durch Zinsen reicht nicht aus. Durch eine strenge, restriktive Geldpolitik müssen die uneffektiv arbeitenden Betriebe erkannt werden. Tiefe Systemveränderungen in der Wirtschaft und die Anwendung der Politik des „gesunden Geldes“ haben zur Folge, daß Betriebe ohne erbrachte Leistung fallengelassen werden. Zur Gewohnheit wurde ihre Existenz mit Hilfe staatlicher Dotationen. Zur Illustration: Die negative Umsatzsteuer beträgt etwa 48 Milliarden Kronen, die staatliche Dotation 90 Milliarden. Unter Berücksichtigung der Umverteilungsprozesse erreicht man 130 Milliarden Kronen an Dotationen für Betriebe. Eine beträchtliche Streichung ist Voraussetzung zur Gesundung der Wirtschaft.
Im Staatshaushalt müssen Quellen der defizitären Finanzierung beseitigt werden. In der sozialistischen Wirtschaft finden Konkurse nicht statt. Die Gesellschaft trägt die Folgen zahlreicher Fehlentscheidungen. Interesse und Verantwortung hängen eng mit den Problemen des Eigentums zusammen.
Der Verbrauchermarkt muß stabilisiert, beruhigt und für den Übergang zu einer effektiven Marktwirtschaft genutzt werden. Es gilt, die Politik des „gesunden Geldes“ sowohl gegenüber den Betrieben als auch bei der Bevölkerung anzuwenden. Die Periode bis zu den demokratischen Wahlen wird sicherlich durch politische Kompromisse belastet. Es droht eine freie Lohnentwicklung, außerdem eine Verzögerung der Einschränkung von Dotationen und Gesundungskonflikte werden vermieden.
Bei allen Wirtschaftsreformen in der Tschechoslowakei verringerte sich die Anzahl der Industriebetriebe. Die Konzentration der Industrie wuchs. Die durchschnittliche Betriebsgröße der föderativ verwalteten Betriebe beträgt 4.800, der auf Ebene der Teilrepubliken verwalteten 2.400 Beschäftigte. Kleine Betriebe fehlen, mittlere gibt es nur wenige. Die organisatorische Konzentration ist ökonomisch nicht begründet, sondern nachteilig. Die Schaffung einer Wettbewerbsstruktur des Marktes, Demonopolisierung der Wirtschaft und eine Antimonopolpolitik sind Voraussetzung für die Preisbildung nach Angebot und Nachfrage.
Das Verlassen des Reformkurses Anfang der 70er Jahre führte zur Krise der Wirtschaft. Der Export war auf den RGW-Markt orientiert. Öffnung der Wirtschaft bedeutet direkten Zugang zum Auslandsmarkt in eigener Verantwortung. Die Monopolstellung der Außenhandelsbetriebe wird aufgehoben. Eine Liberalisierung des Imports muß mit einer Orientierung auf reale Wechselkurse erfolgen. Stufenweise wird, verbunden mit Abwertung, ein realer Wechselkurs angepeilt, langfristig wird eine konvertierbare Währung erreicht.
Die Vielfalt von Eigentumsformen wird ideologisch und emotional diskutiert. Kenntnisse dieser Erscheinungen in hochentwickelten Wirtschaften (AG, GmbH) sind gering. Reprivatisierung bedeutet nicht Übergabe an die früheren Besitzer. Internationale Kooperation und Investitionen, bei denen es sich nicht um einen Ausverkauf handelt, sind notwendig.
Die Reformmaßnahmen ab 1.1.1990 sind nicht ausreichend, an die vorgesehenen Veränderungen des Banksystems, den Übergang zum ausgebauten Netz von Kommerzbanken, kann im Sinne der vorgestellten Strategie jedoch angeknüpft werden.
(Übersetzung: Maria Karsten und Alena Wagnerowa)
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