Havel gegen deutsche Neutralität

■ Deutsche Frage im europäischen Rahmen lösen / CSSR bleibt im Warschauer Pakt

Prag/Berlin (taz) - Als „wenig vernünftig“ hat Vaclav Havel, Dichter-Präsident und Reisender in Sachen Blockfreiheit und Abrüstung, eine Neutralisierung Deutschlands nach der Wiedervereinigung bezeichnet. Während er dies dem Außenminister Baker erklärte, sagte dessen Kollege Dienstbier in Stockholm, ein Austritt der CSSR aus dem Warschauer Pakt sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll.

Beide Aussagen werfen ein Schlaglicht auf die Europakonzeption der ehemaligen demokratischen Opposition in der CSSR, die jetzt zur Staatsdoktrin geworden ist. Zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Frage in der BRD wie ein toter Hund traktiert wurde, haben Havel und mit ihm die demokratische Opposition darauf hingewiesen, daß eine Überwindung der Blöcke ohne Überwindung der deutschen Spaltung ein Unding sei. Sie traten allerdings stets dafür ein, daß der Einigungsprozeß mit dem Prozeß der Blockauflösung synchronisiert werden müsse. Innerhalb eines blockfreien Europa, das durch ein System kollektiver Sicherheit verbunden würde, wäre eine Neutralisierung Deutschlands unsinnig.

Havel sieht die Ausdehnung des KSZE-Prozesses auf alle gesellschaftlichen Bereiche als das Hauptinstrument der europäischen Einigung an. Ein Viermächte-Friedensvertrag für Deutschland ist überflüssig, weil nach Meinung der tschechoslowakischen neuen Außenpolitiker alle offenen Fragen innerhalb der KSZE geklärt werden können.

Der Prozeß der Blockauflösung muß im Gleichklang geschehen, da einseitge Austritte den Aufbau des neuen kollektiven Sicherheitssystems stören würden. Dies ist der Grund, warum die CSSR noch im Warschauer Vertrag verbleibt, allerdings unter der Bedingung, daß die sowjetischen Besatzungstruppen umgehend aus der CSSR abgezogen werden. Die Regierung der CSSR weiß sich hier natürlich in Übereinstimmung mit der gesamten Bevölkerung, die die militärisch bedeutungslosen, teuren und umweltzerstörenden sowjetischen Einheiten loswerden will.