: KPdSU: Noch ein Dinosaurier geht dahin
■ Das Plenum des Zentralkomitees verzichtet fast einstimmig auf das in der Verfassung verbriefte Machtmonopol der KPdSU / Wichtiger Erfolg für Gorbatschow / Auch der Weg zum Präsidentenamt scheint frei / Der Parteitag der KPdSU wurde auf den Sommer vorgezogen
Moskau (dpa/taz) - Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hat auf dem dreitägigen Plenum des sowjetischen KPdSU-Zentralkomitees einen wichtigen Erfolg erzielt: Das Parteigremium billigte nach zähem Ringen am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit die Aufgabe des in der Verfassung verankerten Machtmonopols der KPdSU. Nach inoffiziellen Meldungen gab es bei einer Enthaltung lediglich eine Gegenstimme: die des ehemaligen Moskauer Parteichefs Boris Jelzin. Damit scheint auch in der UdSSR grundsätzlich der Weg frei für ein Mehrparteiensystem.
Nach unbestätigten Berichten enthält die vom Zentralkomitee angenommene Diskussionsgrundlage die Forderung nach Streichung des Artikels6 der Sowjetverfassung von 1977. Darin war die KPdSU als „führende und lenkende Kraft“ beschrieben. Gorbatschow und andere Redner hatten zuvor erklärt, daß die Partei um diese Rolle kämpfen müsse, wenn sie sie wolle. Sie schlossen auch die Bildung anderer Parteien nicht aus.
Außerdem soll sich die Partei in dem Dokument für die Schaffung des Amtes eines Staatspräsidenten mit umfassenden Vollmachten aussprechen. Gorbatschow ist als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets zwar Staatsoberhaupt, ein eigentliches Präsidentenamt hat es in der Sowjetunion indes bislang noch nicht gegeben.
Die Schlußabstimmung, der erbitterte, kontroverse Debatten vorangegangen waren, erfolgte nach Worten eines 'Prawda' -Journalisten offen durch Handheben. Über mögliche personelle Veränderungen im ZK und Politbüro wurde zunächst nichts bekannt. Zuvor hatten einige Redner personelle Veränderungen gefordert.
Nach Angaben des Moskauer Rundfunks hat sich das Zentralkomitee offensichtlich auch auf eine Vorverlegung des Parteitages auf den kommenden Sommer geeinigt, wie Gorbatschow es vorgeschlagen hatte. Nach diesen Angaben soll der Parteitag in zwei Etappen stattfinden, damit der Basis die Gelegenheit zu ausführlichen Diskussionen gegeben wird.
Der Kampf ist somit noch lange nicht beendet. Erst auf dem nächsten Plenum in drei oder vier Wochen soll der Wahlmodus für den vorgezogenen Parteitag verabschiedet werden. Auch das neue Parteistatut steht noch zur Beratung an. Der Ausweg ist gefunden. Jetzt muß sich zeigen, ob ihn die KPdSU auch gehen kann.
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