: Verdächtiger Dozent geht in Rente
■ Behindertenpädagoge, wegen sexueller Übergriffe verdächtig, drohte taz mit Unterlassungsklage / Kollegen distanzierten sich
„Sexuelle Nötigung im Praxisfeld eines Dozenten“. Dreimal hatte die taz im Dezember über einen Dozenten am Uni -Studiengang Behindertenpädagogik berichtet, der im Verdacht steht, sich seit Jahren in seinem psychotherapeutischen Institut an Klientinnen sexuell zu vergreifen, „gynäkologische Untersuchungen“ an ihnen vorzunehmen.
Zweimal meldete sich der betreffende Mann darauf bei der taz. Einmal griff er zum Telefon und bekundete der Redakteurin seinen beifälligen Respekt, ihr Bericht sei sehr korrekt. Auch teilte er ihr freimütig mit, er erhalte Anrufe von ehemaligen Patientinnen, die ihm weitere wichtige Hinweise auf sein Fehlverhalten gäben, z.B. auf „Nacktmassagen“ in seiner Praxis. Beim zweiten Kontakt mit der taz jedoch trat er vermittelt über einen presserechtlich versierten Hamburger Anwalt in Erscheinung. Der forderte ultimativ eine „Unterlas
sungserklärung“. Die taz gab diese Erklärung nicht ab. Sie legte jedoch - in Erwartung des angedrohten Prozesses und aus prozeßstrategischen Gründen - eine Pause in der Berichterstattung ein. Diese Pause ist hiermit beendet. Ein Prozeß fand nicht statt. Der Dozent hatte es bei einer Drohgebärde belassen. Bleibt nachzutragen, was sich während der taz-Pause getan hat: Das Wichtigste: Am zweiten Januar räumte der Dozent sein Uni-Zimmer, gab den Schlüssel ab und beantragte Rente zum 1. April.
Zeitweilig überschlugen sich die Aktivitäten: StudentInnen organisierten weitere Vollversammlungen über die „Sexuelle Gewalt im Praxisfeld eines Dozenten“, die Hochschullehrerinnen der Universität konferierten, der Fachbereichssprecher 11 forderte die Lehrenden auf, die Vorkommnisse in ihren Veranstaltungen zu diskutieren. Studentinnen der Behindertenpädagogik
gründeten ein Frauenforum, selbst der Senator schaltete sich ein.
Was jedoch nicht passiert ist, ist, daß betroffene Ex -Klientinnen den Mut fanden, mit ihren Namen für ihre Erfahrungen einzustehen. Einige hatten sich zwar der Hochschullehrerin Barbara Rohr anvertraut. „Aus Angst vor Rache“ baten sie die Professorin jedoch, ihre Aussagen vertraulich zu behandeln. Die Hochschullehrerin Barbara Rohr wurde von Männern in verletzender Form angeprangert. Neben ihrer Bürotüre fand sie Krakeleien wie „Hexe“, „Sau“ und den Spruch: „Früher waren es Juden, Kommunisten und Sintis. Heute sind es Männer.“ (siehe Foto).
Barbara Rohr erklärte dazu, sehr angefaßt: „Angeschuldigt werden die, die die Taten aufdecken und nicht die, die sie begehen.“
Nachdem die männlichen Hochschullehrer sich davon überzeugt hatten, daß die Vor
würfe gegen ihren langjährigen Kollegen fundiert waren, setzte eine gewisse Distanzierung ein. Der Behindertenpädagoge Otto Döhner etwa erkärte auf einer studentischen Vollversammlung: „Ich bin als Psychoanalytiker besonders betroffen, wenn die ganze Zunft durch so einen Fall besudelt wird.“ Er habe sich deshalb an den Justitiar der Kassenärztlichen Vereinigung gewandt,
mit der Bitte, zu untersuchen, ob dem Kollegen nicht die Kassen-Finanzierung entzogen werden könne.
Die zentrale Uni-Kommission für Frauenfragen hat für nächsten Dienstag 150 Frauen aus allen universitären Bereichen eingeladen, um einmal gemeinsam zu debattieren über „Sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt an der Universität“.
Barbara Debus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen